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Hochschule Karlsruhe, Technik und Wirtschaft
Karlsruher Institut für Technologie

Der Optimierungsgedanke bei der PLM-Einführung

Komplexer werdende Produkte und Verlagerung von Aufgaben in die frühen Phasen der Produktentwicklung lenken den Optimierungsfokus zunehmend auf den Produktentstehungsprozess (PEP). Umsetzungsprojekte zum Thema werden oft unter dem Schlagwort Product Lifecycle Management (PLM) als IT-Thema in IT-Abteilungen angesiedelt. PLM kann seine Stärke jedoch nur entfalten wenn zusätzlich zur Softwareeinführung eine schlanke, operative Informationsentwicklung im PEP gestaltet und etabliert wird. Um dies zu tun fehlt es noch an geeigneten Methoden.

Lifecycle Mapping setzt an dieser Stelle an. Es ist ein neuer, der Denkweise des Wertstromdesign ähnlicher Ansatz, zur Gestaltung des Produktentstehungsprozesses. Es ist fähig operatives Lebenszyklusverhalten von Informationen sichtbar zu machen, ist einfach in der Anwendung und stellt eine von IT-Terminologie befreite Sprache bereit, um die Informationsentwicklung im PEP analysieren und optimieren zu können.

Lifecycle Mapping – Übertragung von Aspekten des Wertstromdesigns in die Produktentstehung

Die Idee von Lifecycle Mapping nahm ihren Ursprung in Fachdiskussionen erfahrener PLM-Solution-Architekten. Bei den von ihnen durchgeführten Analysen von Anwendungsfällen zeigten sich erhebliche Schwächen in vorhandenen Modellierungswerkzeugen und methoden. Als zentraler Schwachpunkt wurde deren Unfähigkeit erkannt, das operative Zusammenwirken der Produktinformationen im Tagesgeschäft des Produktentstehungsprozesses zu erfassen und zu visualisieren. Aus diesem Grund werden bei der Planung von PLM-Projekten wesentliche Aspekte oft nicht berücksichtigt. Dies gefährdet dann mitunter PLM-Projekte, da das gemeinsame Verständnis von Anbieter, Projektteam und den Endanwendern nicht geschaffen wird.

Der Ansatz von Lifecycle Mapping, welcher im Rahmen der Do(PLM)Con Methode entwickelt wurde, geht einen neuen Weg (siehe hierzu [1],[2],[3]). Er nutzt die in den IT-Systemen lebenden Teilmodelle des Produktentstehungsprozesses als zentrale Modellierungselemente. Um die Komplexität der Modellierung zu reduzieren, wurden Aspekte des Wertstromdesigns übernommen [4]. Lifecycle Mapping setzt auf eine leicht verständliche, IT-neutrale und flexible definierte Symbolik, eine einfache Handhabung auch mit Bleistift und Papier, die Ausrichtung am Mehrwert sowie die konsequente Trennung zwischen Ist-Zustand (Current State) und dem zu entwickelnden Soll-Zustand (Future State).

Aus diesem Ansatz ergeben sich eine Reihe entscheidender Modellierungsvorteile. Die Anzahl der Teilmodelle ist im Vergleich zu den Prozessen im PEP geringer und ihr Detaillierungsgrad ist weniger unterschiedlich. Damit wird es möglich Landkarten des PEP zu erstellen, die das Lebenszyklusverhalten von Teilmodellen sichtbar und damit planbar machen. Eine solche Landkarte dient als zentrales Kommunikations- und Optimierungsinstrument zur Gestaltung des PEP’s. Sie kann vom Management, von den Ingenieuren und auch von Informationstechnikern leicht verstanden werden und trägt wesentlich dazu bei, „über das Gleiche zu sprechen“.

Lifecycle Mapping im Praxisbeispiel

Nachfolgend wird die Anwendung des Lifecycle Mapping anhand eines vereinfachten Beispiels gezeigt. Das betrachtete Unternehmen stellt Werkzeugmaschinen in Auftragsfertigung her. Im Rahmen einer Schwachstellendiskussion wurden zwei zentrale Probleme erkannt. Es gelingt dem Unternehmen nicht, die technischen und betriebswirtschaftlichen Produktdaten synchron zu halten. Dadurch werden häufig falsche Teile bereitgestellt, was hohe Folgekosten verursacht. Ein weiteres Problem sind lange Durchlaufzeiten bei Aufträgen mit hohem Neuentwicklungsanteil. Die Konkurrenz kann oft schneller liefern, wodurch wichtige Aufträge verloren gehen.

Um die Probleme zu beheben, wurde der Current State des PEP mittels einer Lifecycle Map (Bild 1) analysiert. Diese gibt eine Übersicht auf ausgewählte, lebende Teilmodelle im Zeitverlauf des PEP. Die Rechtecke stehen für Teilmodelle. Die Pfeile/Linien, inklusiv der zugeordneten Symbole definieren die organisatorische Vernetzung der Teilmodelle. Auf der Zeitachse werden die Meilensteine des PEP dokumentiert. Die Wolken stehen für Bereiche, die nicht betrachtet werden. Die hier beschriebene Analyse fokussiert ausschließlich auf den Bereich A in Bild 1.

Mit Eingang eines Auftrags leitet der verantwortliche Produktingenieur eine erste Produktstruktur für das Neuprodukt (Bild 1, Produkt A) aus der Produktstruktur des Vorgängerprodukts (Bild 1, VP) im TDM-System ab. Im Fortschreiten der Produktentwicklung klärt er dann mit den ERP-Spezialisten telefonisch oder in Meetings die Materialentsprechungen für angepasste und/oder neue Teile (Bild 1, Pfeile zwischen Produkt A und Materialstamm). Vor Abschluss der Konstruktionsphase initiiert er die manuelle Erstellung der Stamm-Stückliste (Abbildung 5, Stamm-Stückliste) auf Basis der von ihm verantworteten Produktstruktur.

In der PEP-Analyse wurden dieses Zusammenspiel als einer von drei wesentlichen Verursachern der Probleme identifiziert. Das Unternehmen hat weder ein organisatorisches Konzept noch eine IT-System-Koppelung, um die Stücklisten und die Konstruktionsdaten synchron halten zu können. Die organisatorische Verknüpfung zwischen Materialstamm (MS), der Produktstruktur (Produkt A) und der Entwicklung (F&E) ist gewachsen, die Verbindung der IT-Systeme (TDM & ERP) ist manuell. Veränderungen in den jeweiligen Modellen werden daher oft nicht kommuniziert.

Bild 1: Lifecycle Map: PEP Current State

Gestaltung eines schlanken Produktentstehungsprozess

In Bild 2 ist die erfolgreich im Unternehmen umgesetzte Lösung zu sehen. Es wurde ein PLM-System eingeführt, dass das TDM-System ersetzt und alle technischen Modelle trägt. Kern des neuen Ansatzes ist die Definition eines organisatorisch eindeutig gestalteten und technisch zwischen den Systemen automatisierten Prozesses zwischen den technischen Modellen (Bild 2, oben) und den betriebswirtschaftlichen Modelle (Bild 2, unten).

Aufgrund der unternehmensindividuellen Philosophie der Produktentwicklung wurden die technischen Modelle als führende Modelle festgelegt. Ein neu angelegtes Element erzeugt über einen Cross Model Push automatisch eine Entsprechung im Materialstamm. Damit wird das Problem der bisher nicht synchronisierbaren Stücklisten und Konstruktionsdaten technisch behoben – und es wird möglich, jederzeit aus der Produktstruktur auf das Material zu schließen. Um diesen Ansatz umzusetzen, musste das bisherige Informationsmanagement im Unternehmen umgestaltet werden.

Die Informationen in den technischen Modellen wurden dazu derart semantisch angepasst, dass sie eindeutige Entsprechungen in den betriebswirtschaftlichen Modellen (Bild 2, Detail 1, Model Type Alignment) haben. Dabei wurde die ursprünglich funktionale Struktursemantik der technischen Modelle in die logistisch orientierte Semantik der betriebswirtschaftlichen Modelle überführt.

Bild 2: Lifecycle Map: PEP Future State

Um die durchgängige Eindeutigkeit zu gewährleisten, wurden relevante Zuordnungsfälle zwischen den Modellen herausgearbeitet und jeweils spezifisch gelöst. Ein Beispiel sind Profilstangen. Diese werden in unterschiedlichen Längen verbaut. In den konstruktiven Modellen werden tatsächlich verbaute Längen modelliert. In den betriebswirtschaftlichen Modellen sind lediglich kaufbare Standardlängen verzeichnet. Zur Gewährleistung der eindeutigen Zuordnung musste für Stangen in den konstruktiven Modellen die Möglichkeit geschaffen werden, die Teillängen der zu disponierenden Profilstangen zu definieren.

Mit Lösungen der Zuordnungsfälle wurde es möglich Materialstamm und die Strukturstückliste über die konstruktiven Modelle zu steuern. Die konstruktiven Modelle sind dabei führend und die Neuanlage eines Materials erfolgt immer vom konstruktiven Modell aus.

Fazit und Ausblick

Am beschriebenen Beispiel lässt sich erkennen, dass die Gestaltung des PEP auf einer intelligenten, kontext- und zeitbezogenen Vernetzung von Informationen beruhen muss. Die Optimierung gelingt durch gestaltete Informationsflüsse, die mit Hilfe von PLM-Systemen automatisiert werden. Der Einsatz von Lifecycle Mapping ermöglicht es den PEP einer Optimierungsdiskussion zugänglich zu machen. Durch seine Anwendung lässt sich die Einführung von PLM präziser und systematischer planen, als es aktuell möglich ist.

Abschließend noch unseren herzlichen Dank an Herrn Matthias Schmich, Vice President Professional Services GSF bei Siemens PLM Software sowie den Siemens PLM Lösungsarchitekten Bernhard Lammel, Jürgen Gruber und Martin Rebel für ihre freundliche Unterstützung an diesem Artikel.

Referenzen

  • FISCHER, Jörg W.; LAMMEL Bernhard; HOSENFELD Dirk; BAWACHKAR Deodatt; BRINKMEIER Bernd: Do(PLM)Con: An Instrument for Systematic Design of Integrated PLM-Architectures. In: Smart Product Engineering. Hrsg.: ABRAMOVICI, Michael and STARK, Rainer. (Lecture Notes in Production Engineering, Volume 5.) Heidelberg: Springer 2013. S. 211-220 (ISBN: 978-3-642-30816-1)
  • FISCHER, Jörg W.; REBEL, Martin; LAMMEL, Bernhard; GRUBER, Jürgen: Systematic optimization of the Product Development Process with PLM-ML. In: ProductDataJournal, Darmstadt, 19(2013)1, S.48-52. (ISSN: 1436-0403)
  • FISCHER, Jörg W.; SOWASSER, Sascha: Industrial Engineering und Lean Product Development. In: Industrial Engineering, Fachzeitschrift des REFA-Bundesverbandes, Darmstadt, 66(2013)2, S.20-27. (ISSN: 1866-2269)
  • Rother, M., Shook J.: Learning to See: Value Stream Mapping to Add Value and Eliminate MUDA. Taylor & Francis (1999), S.17