Ein Gespräch über die Folgen der Pandemie für den Maschinenbau im Südwesten Deutschlands
Interview mit Frank Schlupp am 8.9.2020 bei keytech Süd in Sulz am Neckar
Frank Schlupp (Fotos Sendler) ist Geschäftsführer des PLM-Anbieters keytech Süd. Das Gespräch fand in jenem schönen Bahnhofsgebäude von Sulz statt, in dem im Oktober 2011 die Firma gegründet wurde, und in dem sie seit Kurzem wieder ihren Sitz hat. Frank Schlupp hatte damals den richtigen Wind gespürt, der das Thema PLM und Prozessautomatisierung auch und gerade in der starken mittelständischen Industrie im Schwarzwald und in der Region zwischen Stuttgart und Bodensee antreiben würde. Da, wo die Automobilzulieferer und zahllose Sondermaschinenbauer sitzen, aber auch da, wo sich – etwa um Tuttlingen – ein regelrechtes Weltzentrum der Medizintechnik angesiedelt hat.
Ulrich Sendler: Herr Schlupp, welche Folgen hat die Pandemie für den Mittelstand in der Industrie?
Frank Schlupp: Eine Veränderung war sehr schnell greifbar: Wenn keine Messen, Hausmessen und Konferenzen mehr stattfinden, fehlt die Möglichkeit, Kunden und Interessenten zu präsentieren, was wir ihnen zu bieten haben. Hier war sofort zu spüren, dass etwas Neues entstehen muss, eine neue Art von Veranstaltungen. Das hatte eine enorme Dynamik. Das Zweite: Homeoffice. Den Begriff gibt es schon lange, aber nur wenige Unternehmen haben ihn mit Leben gefüllt. Jetzt war das Homeoffice auf einmal da, bei uns und bei unseren Kunden. Und da waren die Prozesslücken zu sehen, die man sonst mit ein paar Fragen an den Büronachbarn kaschieren konnte. Wenn das Büro leer ist, geht das nicht. Der Nachholbedarf wurde schlagartig deutlich.
Ulrich Sendler: Welche Folgen gab und gibt es für Ihr Geschäft?
Frank Schlupp: Es war und ist noch ein Stochern im Nebel. Keiner weiß genau, was kommt und wie es weitergeht. Also schauen alle, dass sie ihre Liquidität nicht gefährden und fahren auf Sicht. Da wurden und werden Projekte geschoben, aber eben nicht gestoppt oder gecancelt. Andere nutzen die Zeit, in der weniger entwickelt und produziert wird, für Dinge, von denen sie ja wissen, dass sie notwendig sind und die sie sich ohnehin leisten wollen: Prozessverbesserung, Harmonisierung der vorhandenen Softwareinseln sind dabei wohl die wichtigsten Themen. Insofern haben wir wirtschaftlich bisher keine Probleme. Das Geschäft läuft weiter, manches verschoben, anderes dafür intensiver und schneller. Unsere Produktentwicklung wurde eher beschleunigt.
Kurzarbeit haben wir zwar angemeldet, um kurzfristig reagieren zu können, aber wir haben sie praktisch noch nicht genutzt. Für 4 Wochen haben zwei Mitarbeiter kurzgearbeitet, weil in deren Bereich weniger Arbeit da war. Aber in Vertrieb, Entwicklung und Support gab es überhaupt keine Kurzarbeit. keytech Süd hat zehn Mitarbeiter, die gesamte keytech Gruppe über 80. Wir haben in der Gruppe eine einheitliche Homeoffice Regelung und ein gutes Hygienekonzept. Alles hat sich gut eingespielt.
Ulrich Sendler: Sind die Kunden zurückhaltender oder offener für die digitale Transformation?
Frank Schlupp: Einen regelrechten Schub sehe ich noch nicht. Die Projektverschiebungen sind ja eher negativ. Auf dem Weg zur Digitalisierung der Prozesse rund um PLM waren die Firmen schon vor der Pandemie. Was jetzt dazukommt: Die Kommunikation verändert sich, wenn Konstrukteure von zu Hause arbeiten. Dann brauchen sie die Informationen aus dem PLM-Bereich umso dringender, denn sie können niemanden aus anderen Bereichen kurz fragen.
Ulrich Sendler: Hat sich die Haltung zur Cloud verändert?
Frank Schlupp: Oh, das ist ein hochspannendes Thema, die Cloud und der Mittelstand. Hier in der Region finden wir die ganze Bandbreite möglicher Positionen. Grundsätzlich sind die Unternehmen eher konservativ. Nicht wegen der neuen Technologie, sondern wegen des Speicherorts für die Daten. Wo liegt meine Zeichnung, meine Ingenieursarbeit? Da gibt es tonangebende Unternehmen, die nach wie vor sagen: Meine Unterlagen sind bei mir im Haus!
Dezentrale Arbeitsplätze wie beim Homeoffice forcieren natürlich die Akzeptanz für die Cloud. Anders können nicht alle von überall am gleichen Objekt arbeiten. Die Cloud wird kommen. Wir müssen aber die konservative Haltung unserer Kunden ernst nehmen. Ihre Schätze, ihr Ingenieurwissen, ihre Patente sollen nicht irgendwo liegen. Viele sind noch nicht so weit zu sagen, dass sie damit komplett in die Cloud gehen. Zum Teil sind sie dazu schon bereit: Normteile und Kaufteile beispielsweise dürfen in die Cloud. Daten von Produkten für die Kunden bei manchen auch. Aber alles, was noch in der Entwicklung ist und in dem das Know-how des Unternehmens steckt, das soll vorläufig im Haus bleiben.
Gerade deshalb ist PLM mehr denn je gefordert, und zwar für die strukturierte Verwaltung der Daten im eigenen Haus. Die Metadaten können ruhig in der Cloud liegen, aber die Daten der Teile selbst nur lokal. Wir testen diese hybride Art der Cloud gerade mit einigen Kunden. Schneller Zugriff auf Stammdaten und Metadaten, und gleichzeitig Sicherheit für ihre Schätze. Als Cloud-Infrastruktur nutzen wir – als Microsoft Gold-Partner – Microsoft Azure.
Ulrich Sendler: Ändert sich damit auch ihr eigenes Angebot?
Frank Schlupp: Wir haben eine Cloud-Roadmap aufgestellt, aber wir sind auch abhängig von den CAD-Anbietern, deren Systeme unsere Kunden nutzen. Derzeit sind das vor allem SolidWorks, Inventor, Solid Edge, und für E-CAD Eplan und E3. Fast alle haben diese Systeme lokal auf der Workstation. Dann muss auch keytech lokal installiert sein. Aber auch für CAD geht es tendenziell zweifellos in die Cloud. Onshape etwa funktioniert nur in der Cloud, SolidWorks hat etwas Ähnliches vorgestellt, Inventor auch. Darauf stellen wir uns ein.
Unsere Roadmap sieht vor, als ersten Schritt die Datenbank in die Cloud zu bringen, im zweiten Schritt auch den Fileserver. Mit kleinen Teilen geht das schon, mit sehr großen Maschinen ist das heute wegen der Performance noch nicht realistisch. Aber die Zukunft bringt uns die Lösungen, ob Cloud und oder virtuelle Desktop Integrationen. Die Bandbreiten werden immer besser, 5G kommt. In den nächsten Jahren werden wir die ersten Lösungen bei den Kunden haben.
Ulrich Sendler: Was hat sich an Ihrem eigenen IT-Angebot für die Industrie geändert? Gibt es neue Tools, neue Cloud-Dienste? Ändert sich das Geschäftsmodell?
Frank Schlupp: In der Planung haben wir für Office-Anwender einen Web-Client mit dem kompletten Zugang zu keytech. Im CAD-Bereich hängt es stark davon ab, was die Anbieter machen. Wenn CAD über einen Web-Client läuft, werden wir mit PLM entsprechend agieren. Heute haben wir keinen einzigen Kunden, der sein CAD in der Cloud hostet, alles ist lokal installiert. Die Kunden fordern von uns noch keine Lösung für übermorgen. Aber wir entwickeln sie.Das heutige Geschäftsmodell ist noch die klassische Softwarelizenz und ein Prozentsatz davon als Service. Aber wir arbeiten an einem zukünftigen Modell, um mehr den Nutzen und die Wertschöpfung zu sehen als den reinen Besitz von Software. Ich denke da an Ähnliches wie Software as a Service.
Hier kündigen sich neue keytech Lösungen an: Erstens der keytech Notification Server, über den der Nutzer ein Abo auf Artikel oder Dokumente für das Smartphone oder per Mail haben kann. Wenn sich etwas ändert, wird er darüber informiert und muss nicht nachfragen.
Das zweite heißt keytech Insight: Jeder Konstrukteur soll PLM-Grundfunktionen in seinem Autorensystem zur Verfügung haben. Wie steht es um die Wiederverwendung eines Teils? Wer bearbeitet gerade was an einer bestimmten Baugruppe? Welches Material kommt zum Einsatz? Wie ist der Lagerbestand? Solche Fragen beantworten Apps, die im CAD aufgerufen werden können. Für SolidWorks und Inventor haben wir das in einer ersten Stufe entwickelt. In der nächsten Stufe sollen darüber auch Daten wie Stammdaten oder Dokumenteninformationen in keytech eingegeben werden können. PLM-Funktionalität wandert über Web-Services ins Konstruktionssystem.
Das dritte Modul ist keytech Search. Es ist ein Web-basierter Such-Client über alle Informationen im PLM-System. Mit entsprechendem Zugangsrecht kann hier der Ingenieur oder Projektbeteiligte suchen, finden, ausdrucken und speichern.
Ulrich Sendler: Müssen Sie Ihre Preise senken?
Frank Schlupp: Nein. Ein Produkt hat einen Wert. Der ändert sich ja nicht wegen einer Krise. Durch Rabatte und Preisschlachten geht Vertrauen verloren. Wir müssen eine Leistung erbringen. Weil die Leistung gebraucht wird, wird sie bezahlt. Wir sind auf Augenhöhe mit unseren Kunden. Für die meisten sind wir deshalb die Richtigen, weil wir flexibel und schnell sind, und weil wir sie verstehen und ihre Art zu arbeiten kennen.
Ulrich Sendler: Gab es Entlassungen oder Kurzarbeit?
Frank Schlupp: Kurzarbeit nur in der genannten Ausnahme. Entlassungen keine. Im Gegenteil, wir suchen beispielsweise Vertriebsleute und Projektmanager, und in unserer Region herrscht immer noch Personalmangel, was Fachkräfte betrifft. Wir wachsen langsam, aber wir wachsen. Wir bilden auch aus. Wir nutzen etwa die IHK, wo man eine klassische Lehre für Informationstechnologie machen kann, oder die duale Hochschule Stuttgart und ihre Außenstelle Horb. Die Studierenden sind drei Monate in der Schule und drei Monate bei uns im Unternehmen.
Ulrich Sendler: Was sind die drei wichtigsten Folgen der Pandemie, Herr Schlupp?
Frank Schlupp: Erstens erleben Prozessdigitalisierung und -automatisierung eine Renaissance. Vieles war immer noch manuell und deshalb eben nicht automatisierbar. Aber dafür muss man die Prozesse modellieren. Wir präferieren den Standard BPMN, also Business Process Model and Notation. In Versicherungen, Banken oder in der Luftfahrt ist das schon lange Standard, jetzt wird es auch für den mittelständischen Maschinenbau ein Thema.
Die zweite Folge betrifft die Möglichkeiten der Präsentation und Kommunikation mit den Kunden. Viele Messen werden gar nicht mehr stattfinden. Virtuelle Plattformen erleben einen Boom. Wir haben dafür das keydays studio entwickelt. Es ist ein mit TV-Profis gestaltetes neues Format, in dem wir bereits zwei Sendungen über YouTube ausgestrahlt haben. Mit der Möglichkeit der Interaktion für die Kunden. Für dieses Format wurden die Kunden persönlich angeschrieben und per Newsletter informiert. Die Kunden waren begeistert.
Drittens möchte ich sagen, nach Homeoffice kommt „Work Everywhere“. Der Ort spielt bei gewissen Tätigkeiten keine große Rolle mehr. Es muss künftig gleichgültig sein, ob jemand seinen Job zu Hause, im Büro oder im Zug erledigt. Der Ort ist für die Datenverfügbarkeit und für das Ergebnis immer weniger wichtig.