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Ich war gespannt auf diese SPS und wurde nicht enttäuscht. Die seit dem Frühjahr in der Marktübersicht Smart Automation versammelten Linux-basierten Plattformen spielen eine wachsende Rolle, und dies branchenübergreifend. Das kann man festmachen an der zunehmenden Zahl von Industrieunternehmen, die sich auf der SPS mit produktivem Einsatz solcher Plattformen präsentieren; an den kontinuierlich wachsenden Ökosystemen und Partnernetzen der Plattformanbieter und der steigenden Zahl verfügbarer Apps; und daran, dass es kaum noch einen Automatisierungsanbieter gibt, der nicht besonders für seine Software, für virtuelle Steuerungen und offene Lösungen wirbt.

Als die Marktübersicht online ging, waren neun Anbieter vertreten. Drei weitere meldeten sich gleich danach. Diese Anbieter waren bis auf Contact Software alle mit ihren Plattformen vom 12.11. bis 14.11. in Nürnberg, wenn auch German Edge Cloud, erst kurz zuvor durch ein Management-Buy-Out von CEO Dieter Meuser neu gegründet, diesmal ohne eigenen Stand. Die Anbieter – zu denen Hilscher mit netX wahrscheinlich noch hinzukommt –, sind:

Bosch Rexroth mit ctrlX AUTOMATION, Contact Software mit Elements for IoT, FLECS Technologies mit FLECS, German Edge Cloud mit ONCITE DPS, KEBA AG mit Kemro X, Lenze mit Lenze NUPANO, Phoenix Contact mit PLCnext Technology, SALZ Automation mit SALZ Controller, Siemens mit Industrial Operations X, TTTech Industrial Automation AG mit Nerve, WAGO mit WAGO OS und WAGO ctrlX OS, und Weidmüller mit easyConnect / u-OS.

Wird Automatisierungssoftware zum Gamechanger?

Damit scheint der derzeitige Markt der Automatisierungsplattformen im Wesentlichen erfasst zu sein. Es sind ausschließlich deutsche und österreichische Hersteller. Auch auf der international aufgestellten SPS habe ich keine Wettbewerber etwa aus China oder den USA gefunden. Aber Interesse aus China an den hiesigen Plattformen. Ein gutes Zeichen, dass dieser Markt das Herz der Zukunft des Industriestandorts D, A, CH sein könnte.

Interessant ist, dass es sich – mit zwei Ausnahmen – ausschließlich um Plattformen aus der sogenannten OT (Operational Technology) handelt. Es sind tatsächlich die bisher mit Embedded Software für die Automatisierung und Steuerung der Produktion befassten oder ganz neu in diesem Bereich gegründeten Unternehmen, die jetzt den Unterschied machen, nicht IT-Unternehmen.

Der Post in LinkedIn zu meinem Artikel über „Linux versus Windows in der Industrie“ unmittelbar vor der SPS hat übrigens mehr als 11.000 Impressions erzielt. Kontaktanfragen wegen mehrerer meiner Artikel führten auch zu sehr inspirierenden Gesprächen in Nürnberg. Die Industrie diskutiert über Offenheit und zukunftsfähige Lösungen, und der Markt dieser Lösungen entwickelt sich gut.

So hörte ich bei einem spontan vereinbarten Treffen von einem Verantwortlichen für die Automatisierung in einem großen Konzern der Prozessindustrie, wie wichtig unabhängige Analysen des Plattformmarktes und der dahinterstehenden Technologie derzeit für ihn intern seien. In anderen Gesprächen ging es um die Frage, ob wirklich immer noch jedes Land, jedes Unternehmen und jede Branche neu erfinden muss, was anderswo längst Standard ist. Mit dem einzigen uralten ‚Argument‘: „Not invented here“. Etwa Microservice-basierte Apps und offene Software auch für Echtzeit-Anwendungen.

Es gab mehr zu sehen und zu hinterfragen, als in zwei Besuchstagen zu schaffen war. Hier eine kleine Auswahl der Neuigkeiten.

Provokative Fragezeichen am Stand von Weidmüller. Tatsächlich sind manche Neuigkeiten in der Automatisierung für viele schwer zu verstehen. Der Wechsel von Hardware zu Software braucht Erklärung. (Foto Sendler)

Industrielles IoT und Smart Factory

Weidmüller ist in der Marktübersicht Smart Automation vertreten mit der Erläuterung: „Das Angebot einer offenen Plattform steht bei Weidmüller auf drei Säulen: die Industrial Service Plattform easyConnect, die Laufzeitplattform u-OS und ein wachsendes Portfolio von Softwarelösungen.“

Zur diesjährigen SPS bekam dies gesamte Angebot von Software für Industrial IoT und Automatisierung einen Namen: u-software. Mit Program Manager Martin Flöer habe ich das erste Interview nach der Messe vereinbart. Stay tuned.

Weidmüller in Detmold war 75 Jahre lang ein weltweit erfolgreicher Hersteller von Verbindungstechnik, was mit der Erfindung der Reihenklemmen angefangen hat. Deshalb sieht sich das Haus prädestiniert für das Angebot einer Plattform, mit der die Industrie nun über die Vernetzung ihrer Maschinen und Produkte auch den Schritt ins industrielle Internet der Dinge machen kann.

Also weniger eine Plattform für Automatisierer, sondern eher für die ganze Breite der Produzenten.

TTTech Industrial Automation, 2019 von TTTech in Wien gegründeter Hersteller der Plattform Nerve, adressiert dagegen vor allem die Automatisierungsanbieter, und zwar gleichgültig, auf welche Hardware, Industrie-PCs und andere Edge-Geräte diese setzen. Nerve ist vollkommen offen und erlaubt die Entwicklung, das Deployment und Management von Container-Umgebungen in beliebigen Branchen (siehe das Interview mit Georg Stöger).

Ein paar Wochen vor der SPS stellte das Schwesterunternehmen TTTech Digital Solutions eine weitere Linux-Plattform vor: Ubique. Sie ist noch nicht in der Marktübersicht enthalten und auch nicht mit Nerve integriert, obwohl das mittelfristig denkbar ist. Ihr Fokus ist die Feldebene selbst, sie ist eine Plattform für die Steuerung von Geräten und Maschinen, wobei das Engineering direkt aus der Cloud möglich ist. Dazu gibt es hier in Kürze einen ausführlicheren Bericht.

 

Wachsende Ökosysteme

Bei Phoenix Contact stand die Plattform PLCnext auf der SPS wieder im Zentrum, auch als einer der Schwerpunkte einer Pressekonferenz, nachdem zuvor die Partnerschaft mit dem japanischen Industrieroboter-Hersteller Yaskawa bekannt gegeben worden war. Der Erfinder des Begriffs „Mechatronik“ setzt in Zukunft auf die PLCnext Technology von Phoenix Contact. Das gemeinsame Ziel von Yaskawa und Phoenix Contact ist es, den Wandel von proprietären Lösungen hin zu einem offenen und zukunftssicheren Ökosystem für die industrielle Automatisierung voranzutreiben. Phoenix Contact hat seine PLCnext Laufzeitumgebung an Yaskawa lizensiert und die gemeinsame Weiterentwicklung vereinbart. Yaskawa plant den Einsatz des PLCnext Runtime Systems in den Bereichen Motion Controls und Robotics, zunächst in Europa und den USA.

In der Pressekonferenz wurde bekanntgegeben, dass Euro Alibaba Cloud die Softwarelösung Virtual PLCnext Control von Phoenix Contact als Teil seiner Lösung für die Fertigungsindustrie integrieren wird. Kunden können das Cloud- und Edge-Infrastrukturangebot von Alibaba Cloud nutzen, beginnend in Greater China und Asien. Alibaba Cloud weitet damit sein Angebot an Cloud-Lösungen auf den OT-Sektor aus. Für mich auch das ein Beleg, dass es in China derzeit keine vergleichbaren Plattformen gibt.

Ulrich Leidecker (2. von rechts), COO von Phoenix Contact, bei der Vorstellung der Partnerschaft mit Euro Alibaba Cloud (Copyright Phoenix Contact)

Steffen Winkler, Bosch Rexroth (links) und Christian Zingg, Eaton, stellen die Evaltuation von ctrlX OS durch Eaton vor. (Foto Sendler)

Offenheit als Antwort auf die großen Herausforderungen

Bosch Rexroth hatte schon auf einer Fachpressekonferenz und in einem Interview vor der SPS über sein wachsendes Partnernetz informiert. Der dort vorgestellte potentielle ctrlX OS Partner Eaton präsentierte sich auf der SPS gemeinsam mit Bosch Rexroth, aber auch auf einem eigenen Stand.

Christian Zingg, Director Business Development von Eaton, einem der großen Anbieter von Energiemanagement-Lösungen, hielt zusammen mit Steffen Winkler, CSO von Bosch Rexroth, einen Vortrag im Forum in Halle 8 zum Thema „Integration von OT und IT: Ein innovativer Ökosystemansatz mit geringer bis mittlerer Komplexität“. Eaton ist in der Evaluation von ctrlX AUTOMATION und will nach der Messe über die Partnerschaft entscheiden.

Auf dem Stand von Eaton in Halle 3C gab es neben einer ctrlX OS Demo eine Demo zur möglichen Partnerschaft mit einer anderen Plattform: Ubique von TTTech.

So offen wird jetzt die Industriewelt. Mitbewerber als Plattformanbieter und potenzielle Kunden reden sehr offen über ihre Innovationsideen. Und die Offenheit der Plattformen erlaubt wohl relativ schnelles und paralleles Ausprobieren der Funktionalität in Zusammenhang mit den eigenen Hardwarelösungen.

Für mich hat sich über die SPS 2024 herausgestellt, dass die Marktübersicht Smart Automation etwas konkreter werden kann, was die Zielmärkte und Anwendungsschwerpunkte der Plattformen angeht. Das wird sich noch vor dem Jahresende in einem Update finden.