ECS Engineering, Consulting & Solutions in Neumarkt, Bayern, ist seit vielen Jahren als IT Beratungs- und Lösungsanbieter in der Industrie erfolgreich. Eines seiner Spezialgebiete sind Integrationslösungen, mit denen die Kunden zusätzlichen Nutzen aus ihrer PLM- und ERP-Software ziehen. Daten aus solchen Systemen sollen für höhere Produktivität und mehr Effektivität in der Fertigungsplanung und Produktion, in der Auftragsabwicklung und Logistik, aber auch in der Produktnutzung und in produktbasierten Diensten des Internet der Dinge (IoT) genutzt werden können. Eines der Hauptprodukte dafür war die eigene modulare Plattform eCenter.
Seit einiger Zeit hat ECS sein Angebot erweitert: Cloud-basierte Dienste, die flexibel miteinander und mit anderen Softwaresystemen funktionieren und kommunizieren. Über die letzten Jahre hat sich der Dienstleister dazu in eigenen Labs und mit Praxisprojekten zu einem anerkannten Spezialisten in Sachen Containertechnologie und Web-based Services entwickelt. Enrico Hahn, Direktor der ECS Solutions, erläutert in einem ausführlichen Gespräch, warum ECS – so wie auch viele der Kunden – zunehmend auf Composable Software setzt und was sich durch den aktuellen Technologiesprung in der Industrie und ihrer IT-Landschaft verändert.
Ulrich Sendler: Herr Hahn, was war der Anlass dafür, dass ECS seine Services auf neue Füße gestellt hat?
Enrico Hahn: Kunden haben uns immer häufiger die Frage gestellt, wie sie auch mit ihrer IT in der Industrie die bekannten Vorteile von Cloud und Pay per Use nutzen können. Der Bedarf an sehr kurzfristig realisierbaren Individuallösungen wuchs ebenfalls deutlich. Das rief nach neuen Mitteln und Wegen, denn dafür war die klassische Standardsoftware nur sehr eingeschränkt hilfreich. Ungefähr um dieselbe Zeit, Anfang der Zehnerjahre, hatte die Standardisierung der Container-Technologie einen entscheidenden Reifegrad erreicht. Kubernetes wurde 2013 von Google als Open Source an die Cloud Native Computing Foundation gespendet und wird heute von allen Plattformen unterstützt. Wir begannen, unsere Softwareentwicklung auf Container, basierend auf Docker und Kubernetes, umzustellen.
Die Vorteile der Cloud für die Kunden erschließen
Ulrich Sendler: Welche konkreten Vorteile wollen Ihre Kunden in der Cloud erzielen?
Enrico Hahn: Sehr wichtig sind die in der Cloud möglichen Betriebskonzepte. Statt über einen eigenen großen Server oder ein Rechenzentrum bestimmte Rechen- und Speicherkapazitäten ständig vorhalten zu müssen, wird genau die Zeit abgerechnet, in der der Kunde einen Service nutzt. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Kosten, aber auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit und die gegenwärtig so zentrale Frage des Energieverbrauchs ein großer Vorteil. Und es ist tatsächlich unabhängig davon, in welcher Umgebung der Service letztlich läuft, ob in der Public, Private oder Edge Cloud, oder eben auf einem Server.
Ein zweiter Punkt ist für unsere Kunden mindestens genauso wichtig: Ein Container-Service, basierend auf gängigen Standards, lauffähig auf jeder Plattform, ist ja nicht nur während der Laufzeit entkoppelt. Er kann auch schnell und völlig unabhängig von anderen Softwareinstallationen entwickelt, getestet und bereitgestellt werden. Mit der so möglichen Geschwindigkeit kann eine klassische Anpassung eines monolithischen Systems kaum mithalten. Solchen Service können wir jetzt bieten, wenn er etwa im Rahmen eines bestimmten Projektes schnell und vielleicht auch nur für eine begrenzte Zeit benötigt wird. Oder wenn der Kunde ihn infolge eines Joint Ventures braucht. Wochen oder wenige Monate kalkulieren wir dafür mit Cloud-Technologie. Klassisch geht das nicht unter einem Jahr. Und dann steckt ja nach den alten Methoden zusätzlich noch eine gewisse Unsicherheit in der Planung, weil nicht wirklich absehbar ist, welcher Aufwand sich aus der engen Verbindung mit einer Standardsoftware in der Zukunft ergeben kann, etwa wegen Updates.
Enrico Hahn, Direktor ECS Solutions, sieht eine starke Entwicklung in Richtung Composable Software. ECS hat sich frühzeitig darauf eingestellt. (Foto ECS)
Ulrich Sendler: Welche Rolle spielt für den Kunden die Skalierbarkeit von Cloud-Services?
Enrico Hahn: Eine sehr große. Das ist ja ein weiterer Grund, weshalb bei einem Web-Service nur genau das an Ressourcen bereitgestellt wird, was in jedem Moment nötig ist. Container-Services können selbständig und automatisch skalieren, weil sie alle zur Laufzeit erforderlichen Daten und Bibliotheken in ihrer Kapsel mit sich führen. Man stellt beispielsweise über Parameter ein, dass eine Instanz einer Service-Komponente bis zu 200 Sessions parallel abwickeln soll und dafür 8 Gigabyte RAM zur Verfügung hat. Sobald einer der Werte erreicht wird, fährt automatisch eine zweite Instanz hoch.
eCenter als Container-Services
Ulrich Sendler: Wie sah der Weg von ECS in die Cloud-Technologie aus? Und was bringt die Container-Technologie ganz konkret?
Enrico Hahn: Wir haben zunächst unsere modulare Plattform eCenter in Services zerlegt. Die Plattform war zwar auch schon in Java programmiert und brauchte lediglich eine passende Laufzeitumgebung, gleichgültig auf welcher Hardware. Aber es war ein monolithisches System, der Host für alle von uns entwickelten Komponenten und Module. Man musste also ein eCenter System starten, um irgendeins der Module zu nutzen. All diese Module haben wir nun als Container-Services neu gebaut. Das hat gleich mehrere Vorteile.
Der Container ist unabhängig von der übrigen IT. Wechselseitig muss beispielsweise nicht auf Updates Rücksicht genommen werden. Downtimes werden auf ein mögliches Minimum reduziert. Der zweite Vorteil: Der Container kann für unterschiedliche Zwecke zum Einsatz kommen. Nehmen wir als Beispiel den Vergleich von Teilestrukturen. Wir haben einen Service gebaut, der sich entsprechende Daten aus ganz unterschiedlichen Systemen zieht. Diese sind aber auch austauschbar. Man programmiert nicht mehr den Vergleich von einer Struktur in Teamcenter mit einer in SAP. Man programmiert einen Service für den Strukturdatenvergleich. Die beteiligten Systeme werden im konkreten Fall gewählt. Und über Regeln wird definiert, was wozu verglichen werden soll. Ein weiterer Vorteil ist die höhere Flexibilität. Wenn eine neue Aufgabenstellung auftaucht, was mit den Strukturdaten in Richtung Analyse, Visualisierung oder Berechnung getan werden soll, dann ist das einfach ein zusätzlicher Service, der andere Services nutzt. Man kann sich immer auf die Softwarefunktionalität konzentrieren, um die es gerade geht, alles andere ist davon unberührt.
Ulrich Sendler: Das klingt vor allem nach Vereinfachung. Welches sind die Haken an der neuen Technologie?
Enrico Hahn: Haken ist nicht das richtige Wort. Wer diese neue Art von Service haben will, der muss auch seine Softwareentwicklung umstellen. Das gilt für uns als Dienstleistungsanbieter wie für unsere Industriekunden. Beispiel Monitoring: Mit klassischer Software hat sich der Kunde eine Infrastruktur ausgewählt und aufgebaut, und für das IT-Monitoring hat er eine entsprechende Software implementiert. Aber selbst wenn er dieselbe Software auch weiterhin benutzt, ändert sich etwas durch die Umstellung, denn auch diese Software setzt bezüglich der Container zu deren Laufzeit auf bestimmte Standards. Also muss schon bei der Entwicklung der Container berücksichtigt werden, welche Standards sie für das Monitoring bedienen soll. Hier wird der Aufwand in der Entwicklung etwas größer, aber das ist einmalig. Dafür wird es im Betrieb dauerhaft spürbar einfacher. Das gilt für den gesamten Prozess von Entwicklung, Test, Deployment und Betrieb: Vieles wird einfacher und automatisierbar, aber – zumindest in der Einstiegsphase – verlangt es auch hohe Konzentration, um alle erforderlichen Veränderungen zu berücksichtigen.
Ulrich Sendler: In der Cloud hat das Ecosystem eine hohe Priorität. Auf welche Partner stützt sich ECS?
Enrico Hahn: Wir haben von Anfang an vor allem auf offene Standards gesetzt und verwenden entsprechende Tools aus dem Bereich von Open Software. So haben wir etliche Kundenprojekte mit dem Framework Cloud Foundry realisiert, das wiederum die großen Cloud-Plattformen nutzt. Dafür nehmen wir natürlich jeweils die vom Kunden favorisierte Plattform, häufig AWS und Microsoft Azure, aber manchmal auch Google. Eine größere Implementierung migrieren wir jetzt mit einem Kunden auf OpenShift von IBM/Red Hat, weil er sich davon zusätzliche Verbesserungen in der Portierbarkeit der Kubernetes Cluster erwartet. In unserem Werkzeugkasten ist auch Springboot von Apache. Das ist ein Framework für die automatisierte Entwicklung und Paketierung von Java-Apps. Es erleichtert die Einbindung einer Container-Lösung in andere.
Eine weitere Zusammenarbeit gibt es mit dem Integrationsplattformanbieter SnapLogic. Es ist eine Low-Code/No-Code Integrationsplattform, die zur Automatisierung von Datenflüssen, Datenaustausch und anderen Datenbearbeitungsszenarien zwischen Applikationen dient. Für SnapLogic ist ECS heute der Implementierungspartner für entsprechende Integrationen im Umfeld von PLM zum Beispiel mit Teamcenter oder Windchill.
Durch unsere langjährige Partnerschaft mit Siemens setzen wir auch deren Low-Code/No-Code Tool Mendix für die Entwicklung von Interaktionen mit Applikationen ein. Dafür haben wir ein eigenes Team zertifizierter Mendix-Entwickler. Es ist ja eine ganz andere Art, Software zu entwickeln, als in der klassischen Softwareentwicklung. Als sehr wichtig dürfte sich auch MindSphere noch erweisen, denn die Siemens Cloud-Plattform ist ja ebenfalls von Anfang an als Cloud-nativer Service entwickelt worden.
Diese Liste der Tools und Partner ist damit nicht vollständig und immer wieder einem Wandel unterworfen.
In einem Bild auf den Punkt gebracht: Input und Datenverwaltung durch Mensch, Systeme und Geräte, Konnektivität durch Services über APIs, Interaktion zwischen IT und IoT, schließlich Apps nach Bedarf für die verschiedenen Anwendungen. Wenn dann noch der Kreis wieder zu den Inputquellen geschlossen wird, hat die Integration funktioniert. (Grafik ECS)
Ulrich Sendler: Sie sprachen von der wachsenden Nachfrage nach Individuallösungen und den Möglichkeiten, die sich durch offene Systeme dafür auftun. Können Sie das an einem konkreten Beispiel festmachen?
Enrico Hahn: Einer unserer Kunden ist Siemens Energy. Dort gab es die Eigenentwicklung eines Programms zur parametrisierten Berechnung und Auslegung von Verdichteranlagen, wie sie etwa in Pipeline-Projekten zum Einsatz kommen. Dieses Programm ist in der Lage, aus Parametern und Berechnungsdaten ein 3D-Modell zu generieren und zu visualisieren. Unter anderem kann aus den Berechnungen auch abgeleitet werden, welche Komponenten mit welchem Gewicht beispielsweise für die Auslegung eines Krans für den Einbau zu berücksichtigen sind. Diese Applikation wird jetzt von uns containerisiert und in einzelne Services zerlegt, die dann in den verschiedensten Bereichen des Unternehmens zum Einsatz kommen können. Niemand muss dafür eine Spezialapplikation installiert haben.
Flexibilität, wie die Kunden sie brauchen
Ulrich Sendler: Hat sich durch den Umstieg auf Web-based Services etwas am Dienstleistungsgeschäft von ECS geändert?
Enrico Hahn: Eine Änderung ist die enorme Flexibilität, mit der wir jetzt auf Kundenanfragen reagieren können. Fast in jedem Fall, in dem es zunächst um eine Anpassung einer Standardsoftware geht, können wir jetzt einen Container-Service als Alternative bieten, der meist auch gewählt wird. Seit fünf Jahren haben wir alle eigene Software als Container neu gebaut. Es ist für uns jetzt der Standard. Wir sind sozusagen Container-ready. Und ich würde schätzen, etwa 60 Prozent unserer Kundenprojekte laufen inzwischen mit dieser Technologie.
Dann ändert sich dadurch unsere Möglichkeit, zu IoT-Projekten unserer Kunden aktiv beizutragen. Die Nutzung von Daten – zum Beispiel auch aus dem Produktbetrieb oder aus der Wartung – ist viel einfacher geworden.
Und es ist ein neues Tätigkeitsfeld hinzugekommen: Wir können jetzt unseren Kunden helfen, wenn sie selbst auf die Cloud-Technologie oder ein anderes Tool dafür umsteigen wollen. Als Berater und auch operativ in der Migration selbst. Von der Entwicklung bis zur Bereitstellung.
Ulrich Sendler: In anderen Wirtschaftszweigen ist diese Technologie ja schon länger angekommen. Wie sehen Sie die Verbreitung in der Fertigungs- und Anlagenindustrie?
Enrico Hahn: In der Großindustrie ist das ebenfalls kein neues Thema. Da sind wir wie gesagt eher bereits beim Umstieg von Cloud-Foundry auf OpenShift, was ja beides Varianten der Microservices betrifft. Und erst recht müssen wir normalerweise kein Start-up überzeugen. Die junge Generation in der Industrie geht fast wie selbstverständlich davon aus, dass alles so funktioniert wie in der privaten IT-Nutzung, und da ist die Cloud und das Internet der Normalfall.
Der große Bereich der Unternehmen mit Größenordnungen dazwischen braucht etwas länger. Teilweise liegt das sicher an den verfügbaren Budgets und Personalkapazitäten, mit denen vielleicht erst vor wenigen Jahren massiv in IT investiert wurde. Und nun müssen erneut größere Investitionen getätigt werden, um im Wettbewerb zu bleiben. Da fallen die Entscheidungen nicht so leicht, obwohl der Druck besonders groß ist.
Ulrich Sendler: Eine letzte Frage, Herr Hahn: Was raten Sie Unternehmen und IT-Leitern, die diesen Technologiewechsel jetzt in Angriff nehmen wollen?
Enrico Hahn: Derjenige oder diejenigen, die für so ein Projekt verantwortlich sind, müssen vor allem in der Anfangsphase ihren Fokus hundertprozentig darauf richten. Es sind sehr viele Entscheidungen sehr kurzfristig zu treffen, bezüglich der zu wählenden Tools und Methoden, bezüglich der Partner und der fachlichen Anforderungen an die zu bauenden Apps. Wenn da jemand nur unter anderem zuständig ist und das nicht als Fulltime-Job betrachtet, geht unnötig Zeit verloren. Im Übrigen gilt: Wir sind Container-ready und freuen uns auf diese Projekte, die sicherlich in der nächsten Zeit noch häufiger gestartet werden.