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KEB Automation ist ein erfolgreicher Anbieter von Automatisierungstechnik. Mit sechs Mitarbeitern gründete Karl Ernst Brinkmann 1972 das Unternehmen für Entwicklung Produktion und Vertrieb von Bremsen und Kupplungen. Heute ist KEB Automation ein weltweit agierendes Haus mit 1.400 Beschäftigten, 1.000 davon in Deutschland. Die Produktpalette umfasst alle Elemente der Automatisierung einschließlich Antriebe, Motoren und Steuerungstechnik.

Mit dem Firmensitz in Barntrup gehört KEB Automation zu den 27 Kernunternehmen des Spitzenclusters it’s OWL – Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe. Und seit knapp zwei Jahren bietet KEB Automation auch die eigene offene, Linux-basierte Automatisierungsplattform NOA, mit der der Hersteller in der Marktübersicht Smart Automation vertreten ist.

In einem ausführlichen Gespräch erläuterten Markus Weissensteiner, CEO von KEB Automation in Österreich, und Uwe Huber, Leiter HMI und IIoT Entwicklung, die Strategie und Positionierung mit der Plattform.

Interview mit Markus Weissensteiner und Uwe Huber

Ulrich Sendler: Wann hat KEB Automation mit der Entwicklung von NOA begonnen? Und was war der Auslöser?

Uwe Huber: Begonnen haben wir im August 2022. Unsere Kunden hatten zunehmend mit den Einschränkungen der traditionellen Automatisierungs-Architektur zu kämpfen, die nur zwei relevante Komponenten kannte – Echtzeit-Runtime und Visualisierung. Zuletzt umfasste die Runtime auch immer mehr Software, für die es gar keine Echtzeitanforderungen gab, beispielsweise Werkzeugverwaltung, Rezeptverwaltung oder das Message Management. So wuchs das Echtzeit-System, wurde immer komplexer und schwieriger wartbar. Und damit natürlich auch instabiler.

Aber die Softwarewelt hat sich geändert. Die serviceorientierten und Open-Source Ansätze wie in der Cloud bieten ganz andere Möglichkeiten. Mit NOA haben wir mit solcher Technologie einen Werkzeugkasten erstellt, der unseren Kunden zusätzlich zu unserem Portfolio mehr Freiheiten und modernere Möglichkeiten bietet, ihre eigenen Systeme zu entwickeln.

(Foto: Uwe Huber, Leiter HMI und IIoT bei KEB Automation)

Markus Weissensteiner, CEO KEB Automation Österreich (Foto: Markus Weissensteiner)

Markus Weissensteiner: Es gibt einen klaren Trend zu offenen Automatisierungssystemen. Das Proprietäre ist regelrecht verpönt. Verstärkt wurde dies nach der Pandemie, als der Markt wieder anzog und die Lieferkettenbrüche sichtbar wurden. Je fester ein Maschinenbauer an ein System gebunden war, desto mehr und teilweise wirklich existenzgefährdende Probleme hatte er. Inzwischen werden geschlossene Systeme immer weniger nachgefragt. Offene Marktstandards wie EatherCAT haben sich durchgesetzt. Und jetzt kommt geopolitisch die Sorge hinzu: Kann ich meine Steuerung überall in der Welt bekommen?

„Der Markt erwartet Offenheit und das Setzen auf offene Standards“

Uwe Huber: Einen Blackberry mit voll integrierter Funktionalität, aber geschlossen, oder ein Nokia – das gibt es grundsätzlich nicht mehr. Offenheit und das Setzen auf offene Standards sind das, was der Markt von uns erwartet.

Ulrich Sendler: An wen richtet sich das Angebot mit NOA? Eher an die Maschinenbauer? Oder auch an die Prozessindustrie?

Uwe Huber: Wir haben keine Einschränkung bezüglich der Industrien. Aber hinsichtlich der Cloud und der modernen Architektur zielt unser Angebot insbesondere auf kleinere und mittelständische Unternehmen. Nicht jeder von ihnen hat die Möglichkeit, eine eigene Plattform für seine Kunden zu entwickeln oder will so viel Geld ausgeben und entsprechende Kompetenz aufbauen. Wir können jetzt eine Plattform as a Service anbieten. NOA gestattet ihnen White-Labeling. Es ist also eine Komponente, mit der auch kleine Maschinenbauer ihren Kunden eine Plattform bieten können. Die großen Konzerne können das selbst.

Ulrich Sendler: Haben sie mit NOA schon neue Kunden gewonnen?

Markus Weissensteiner: Unsere Visualisierungsplattform Helio kann auf Wettbewerbsgeräten laufen und auf KEB- Geräten in Verbindung mit NOA. Seit eineinhalb Jahren gewinnen wir darüber tatsächlich Neukunden. Wenn ein Maschinenbauer unsere Visualisierungssoftware in einem Docker-Container hat, bieten wir über NOA die Möglichkeit, Apps für die Interaktion mit einer Siemens-, Beckhoff- oder Rockwell-Steuerung zu nutzen. Das macht die Kunden flexibel und ist für sie ein spürbarer Mehrwert. So haben wir schon acht oder neun Neukunden gewonnen. Aktuell sind wir massiv in Teststellungen. Jedes KEB-Gerät, das wir verkaufen, hat NOA, Helio läuft darauf, und jetzt haben wir auch eine App für Condition Monitoring. Wir können in der Branche breiter auftreten.

Neue Kunden kommen dazu in Bereichen wie der Energietechnik. Dort haben die Unternehmen Hochsprachen-Entwickler, die mit Python oder Ähnlichem programmieren, und nun interessieren sie sich für eine Steuerung mit NOA. Über Docker-Container sind wir in einer ganz anderen Welt unterwegs als vorher.

Ulrich Sendler: Welche Programmiersprachen unterstützen Sie?

Uwe Huber: Wir haben Schwerpunkte für die Programmiersprachen, mit denen wir unsere Apps erstellen. Als Hauptprogrammiersprache nutzen wir Go, eine sehr moderne, kompilierte Programmiersprache, also schnell und nicht ressourcenhungrig.

Für die Machine-Learning-Themen nutzen wir Python. Bei Anbindungen an proprietäre Steuerungsprotokolle, etwa über Codesys, sind wir auf die Bibliotheken der Hersteller angewiesen und nutzen hier beispielsweise C++.

Die Kunden können für eigene Apps zu NOA auch Standardprodukte wie Visual Studio / Visual Studio Code nutzen und in ihrer bekannten Welt arbeiten.

Ulrich Sendler: Unterstützt KEB Automation die Monetarisierung von Apps auf NOA? Und bieten Sie einen eigenen App-Shop?

NOA bietet den Kunden einen App Manager für ihre eigenen Apps (Bild KEB Automation)

NOA: Die Freiheit der Ergänzung mit eigenen Apps

Uwe Huber: Wir haben keinen öffentlichen App-Shop wie manche andere Anbieter. Wir liefern Apps von KEB Automation und eine momentan noch relativ begrenzte Zahl von Partner-Apps. Wir unterstützen, dass jeder Kunde eigene Apps oder auch Third Party Apps einbinden kann. Beispielsweise liefern wir mit Xentara von Embedded Ocean eine App für eine Echtzeit C++ Runtime.

Was die Abrechnung betrifft, gibt es für alles auf der Edge eine Lizenz und für alles in der Cloud ein Subscription-Modell. Auf der Edge nutzen wir keine Subscription, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass der Maschinenbau dieses Modell noch nicht direkt auf der Maschine akzeptiert.
Bei NOA hat der Kunde die Funktionalität, um auf der Edge seine eigenen Apps einzubringen, ohne dass wir davon etwas mitbekommen. Dafür muss er nichts bezahlen. Wir bieten ihm Metriken über die Zahl der verbundenen Devices und den Datenverkehr an. Darauf kann er sein eigenes Business-Modell setzen. Was er wiederum von seinen Kunden verlangt, ist seine Sache.

Ulrich Sendler: Welche Rolle spielt für KEB Automation das Ökosystem rund um NOA? Organisieren Sie das?

Uwe Huber: Wir folgen hier der Strategie, andere Marktplätze mit unserer Plattform zu vernetzen. Die meisten verwenden wie wir Linux und Docker. Der Kunde kann sich bauen, was er braucht. Wir sind völlig offen.

Markus Weissensteiner: Einen eigenen Marktplatz zu bieten, sehen wir nicht als Kundenanforderung. Wir setzen mehr auf Partnerschaften.

Ulrich Sendler: Ist die KI auch bei Ihnen und speziell in Zusammenhang mit NOA mittlerweile ein Thema?

Uwe Huber: Ja, solche Anfragen gibt es und wir haben schon einige Lösungen für Kunden realisiert. Es sind in der Regel noch sehr individuelle Lösungen, keine generell einsetzbare App, die wir dem Markt anbieten. Wir trainieren die Machine Learning Modelle an der Edge, etwa für Motoren und Getriebe, mit den Daten aus dem Betrieb. Dafür haben wir Experten, die den Kunden helfen, auch verschiedene Datenquellen zu vereinen. Zum Beispiel zu den Daten des Vibrationssensors am Motor auch noch Daten aus dem Umrichter oder Prozessdaten.

Die Komponenten der Plattform NOA (Next Open Automation)  (Bild KEB Automation)

Ulrich Sendler: Wie offen ist NOA zu anderen Plattformen, zum Beispiel zu denen aus der Marktübersicht?

Uwe Huber: Aus unserer Sicht sind wir sehr offen. Es gibt mehrere Aspekte von Offenheit: der eine betrifft die Möglichkeit, eine für NOA geschriebene App auch auf anderen Plattformen zu nutzen. Wir sorgen dafür, dass NOA-Apps auch auf anderen Plattformen laufen können. Einschließlich unserer eigenen. Beispielsweise läuft HELIO auch in ctrlX und kann über den ctrlX Store heruntergeladen werden, oder als eine der Apps im Flecs-Marktplatz.
Ein anderer Aspekt der Offenheit ist die Technologie unter NOA. Wir haben mit Linux und Docker-Containern dieselbe Technologie wie die meisten anderen Plattformen. Letztlich ist es dann die Frage, wie weit die Hersteller zulassen, dass der Kunde das mischt. Wir haben schon mit verschiedenen Herstellern Gespräche über solche Partnerschaften geführt, und wir sind hier genauso offen.

Markus Weissensteiner: Auch wenn das nicht immer gut für KEB als Hersteller ist, weil wir da Partnerschaften mit Wettbewerbern eingehen: Es ist ein Trend, den man nicht mehr leugnen kann. Und die Offenheit bietet gleichzeitig so viele Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten, dass es sich sehr lohnt, diesem Trend zu folgen. Mit der Entwicklung von Container-basierten Systemen auf Linux steht nicht nur die ganze Open Source Welt mit ihren Komponenten zur Verfügung, sondern wir haben auch eine spürbare Vereinfachung von Entwicklung und Deployment, weil es zunehmend automatisierbar ist.

Schnell nutzen, was da ist, statt das Rad neu zu erfinden

Uwe Huber: Linux, Docker und Open Source erlauben es unseren Softwareentwicklern, schnell Funktionalität einzubinden, die vorhanden ist. Man muss nicht mehr alles selber machen. Ein Einzelner kann mit den riesigen Entwicklergemeinden auch gar nicht mithalten. Nicht einmal die Großkonzerne.

Intelligentes Alarming als NOA-Service (Bild KEB Automation)

Ulrich Sendler: Welche Rolle spielt mit NOA die Software strategisch für KEB?

Uwe Huber: Was wir hier an Infrastruktur und Diensten rund um NOA bauen, sind genau die Dinge, die der gesamte Maschinenbau jetzt braucht. Anwendungen entwickeln, verteilen, aktualisieren, Pakettieren von Anwendungen, Remote-Service, und jetzt kommt der Cyber Resilience Act und noch vorher die Zertifizierung nach IEC 62443-2 dazu: Über den gesamten Lebenszyklus müssen Updates geliefert, Schwachstellen überwacht, gemeldet und ihre Behebung geliefert werden. Und für all das bietet die Infrastruktur von NOA Lösungen, die insbesondere für ein KMU strategische Bedeutung haben. Und deshalb hat NOA auch für KEB strategische Relevanz, steht absolut im Fokus der Geschäftsführung und der Inhaber.

Markus Weissensteiner: Im Vergleich zu den Steuerungsherstellern sind wir in einer guten Lage, weil unser Hauptprodukt, Antrieb und Motor, gewissermaßen der Muskel der Automatisierung ist. Der Umrichter spielte bisher eine untergeordnete Rolle. Aber mit der Verlagerung in Richtung Software ändert sich das. Der Muskel wird nie in der Cloud laufen. Für uns ist Umsatz mit der Steuerung neu. Wir sind freier und können unser Business Modell in Richtung Diversifizierung über Software viel schneller laufen lassen.

Ulrich Sendler: Sie sprachen den CRA an. Welche Rolle spielt Cybersecurity bei Ihnen?

„Cybersecurity ist für uns jetzt Tagesgeschäft“

Uwe Huber: Das ist für uns jetzt Tagesgeschäft. Security Workshops, Security Roadmap, Web Security – wenn unsere Kunden eine Maschine im Januar 2028 ausliefern wollen, dann startet ja die Entwicklung viel früher und sie brauchen natürlich von uns auch früher die Sicherheit, dass wir die gesetzlichen Vorgaben erfüllen.

Ulrich Sendler: Was sagt die NOA-Roadmap, was der Markt in der nächsten Zeit von KEB Automation zu erwarten hat?

Uwe Huber: Advanced Analysis Apps in Richtung Motor und Umrichter wird für uns als Antriebshersteller mit unserem Knowhow ein Schwerpunkt sein. Der Umrichter als Sensor, der sehr viel sieht, was vom Antrieb oder auch von der Applikation kommt – in dieser Richtung werden wir unser Wissen nutzen für Machine-Learning-basierte Analyse. Die normale Analytik ist die Überwachung von Grenzwerten. Mit NOA können wir jetzt die Möglichkeiten von Machine-Learning ebenfalls nutzen.

Ein weiterer Punkt wird die Vervollständigung der Servicemöglichkeiten als in NOA integrierte Lösungen. Über Kundenprojekte werden wir im Übrigen unterschiedliche Steuerungen über proprietäre Protokolle anbinden, um beispielsweise mit Siemens, Beckhoff und Codesys nativ zu sprechen. Und für den amerikanischen Markt wird mit Sicherheit Ethernet/IP kommen. Bei Bedarf binden wir weitere proprietäre Protokolle an und unterstützen unsere Partner, Kommunikations- oder Connector-Apps zu entwickeln. Wir haben viel vor, und mit der gewählten Architektur ist das gut machbar.