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Operational Technology (OT) wurde die Software für den Shopfloor, für die Fertigung, genannt. Die Software in den Büros und im Management hieß Information Technology (IT). Dazwischen stand eine unsichtbare und dennoch undurchdringliche Mauer. Die IT konnte kein Gerät in Echtzeit steuern. Die OT galt nicht als Teil der IT. Jetzt fällt diese Mauer in sich zusammen. Die Abrissbirne heißt: echtzeitfähiges Linux. Was neu entsteht, ist ein Markt offener Plattformen für die Industrie. Und eine ungeheure Befreiung von kreativen Köpfen in der Softwareentwicklung bei Anbietern und Anwendern.
Die Trennwand zwischen OT und IT war nötig, solange die IT mit Maschinen und Sensoren in Echtzeit nicht umgehen konnte. Deshalb entstand der Sonderbereich von Embedded Software, die in die Maschinen und Feldgeräte eingebettet wurde und jeweils nur diesem einen Zweck diente: das jeweilige Gerät in Echtzeit zu steuern und zu regeln. Die IT musste sich damit begnügen, die Planung und das Management der Prozesse zu verwalten. Abseits des Shopfloors, in den Büros des Engineerings und des IT-Managements. Die beiden Welten waren sich fremd.

Dann begann die IT, sich mit dem Internet der Dinge (IoT) zu beschäftigen. Die Cloud öffnete sich auch für Produkte und Produktion, das Edge Computing kam, und in den Zehnerjahren entstand ein echtzeitfähiges Linux als Betriebssystem. Mit OPC UA, Docker, Kubernetes und OpenShift wuchsen in derselben Zeit offene Standards, die das Entwickeln und Betreiben von unabhängigen Laufzeitumgebungen endlich auch in der Industrie und ihrem Herz, der Fertigung selbst, möglich machten. Diese Chance hat die Industrie ergriffen.

Auch wenn es nicht der einzige Weg zur Beseitigung der Trennung von OT und IT ist, es scheint derzeit der Weg zu sein, der  der Industrie die größte Offenheit und damit Flexibilität und Agilität bringt.

Offene, Linux-basierte Plattformen für die Industrie

Derzeit entsteht ein neuer Markt offener, Linux-basierter Plattformen für Industrie-Automatisierung und IoT. Und wie zur Betonung, dass es die Grenze zwischen OT und IT nicht mehr braucht, kommen die Anbieter teils aus der IT wie Siemens und Contact Software, teils aus der OT wie Bosch Rexroth, KEBA, Lenze, Phoenix Contact, WAGO und Weidmüller, und teils sind es Start-ups mit dem ausschließlichen Geschäft der neuen Automatisierungssoftware wie FLECS Technologies, German Edge Cloud, SALZ Automation und TTTech Industrial. In der Marktübersicht Smart Automation sind derzeit diese 12 Anbieter aus Deutschland und Österreich mit 13 Plattformen vertreten.

Der Markt ist ein Markt von Softwareanbietern und unterscheidet sich doch sehr von bisherigen Softwarebranchen. Denn es scheint ein unausgesprochenes Einverständnis zu geben, dass die Basis Echtzeit-Linux ist. Womit alle Beteiligten ein Bekenntnis zum Angebot und zur Unterstützung offener Systeme abgeben. Das ist neu und ungewöhnlich. Vor allem öffnet es Türen für Innovation in der Industrie, die bisher nicht einmal da waren, geschweige denn offen. Die jungen, kreativen Köpfe in der Industrie können sich einbringen und das Internet der Dinge mit Leben füllen.

Die Anbieter der neuen Plattformen konzentrieren sich auf unterschiedliche Anwendungsfelder und Szenarien. Das reicht von der Unterstützung von Robotic als Service via Apps bis zum Energiemanagement unmittelbar in der Produktion. Fast immer mit dem Versprechen, dass der Kunde sich parallel von einem anderen Anbieter andere Funktionen hinzuladen kann.

Ein Markt, getrieben von Anbietern und Anwendern

Die Vielfalt der Möglichkeiten ist groß. Weil nun offenbar beinahe alles denkbar wird, stellt sich in jedem Unternehmen die Frage, was die wichtigsten Use-Cases sind, was der schnellste und was vielleicht mittel- und langfristig der beste Ansatz ist. Es kann jetzt von denen entschieden werden, die in den Prozessen die Verantwortung tragen. Die Entscheidungsebene für Entwicklung und Kauf solcher Software wandert wieder näher an den Arbeitsplatz, näher zum Anwender, näher auch an die Produktionsstraße. Und das in doppelter Hinsicht: In der Wahl der Plattform und Apps von Dritten und in der Entwicklung eigener Software, die zusammen damit läuft.

Anbieterseite TTTech Industrial mit NERVE,  Ausschnitt vom Screenshot.

Anbieterseite German Edge Cloud, Ausschnitt vom Screenshot

Genau diese Freiheit und Flexibilität im Zusammenwirken von Applikationen aus unterschiedlichsten Quellen ist gemeint, wenn von Composable Software die Rede ist. In Anlehnung an die Gartner Studie von 2022, in der das anerkannte Analystenhaus das Composable Enterprise ausgerufen hat.

Nun muss der Übergang, die Transformation zu dieser Realisierung von Industrie 4.0 und zur umfassenden Digitalisierung der Industrie, organisiert und natürlich programmiert werden. Denn die Maschinen und Geräte sind ja viel langlebiger als die Software, und die meisten derzeit in Betrieb sind noch lange nicht abgeschrieben. Also ist zu regeln, wie sie in der neuen Art der digitalen Automation optimal genutzt werden können.

In den nächsten Jahren wird es sehr spannend werden, weil noch niemand sagen kann, was die Industrie mit diesen neuen Freiheiten alles anfängt. Ähnlich, wie in den Achtzigerjahren noch niemand sagen konnte, ob das 3D-Modell eines Motors oder Flugzeugs jemals ein zentrales Kommunikationsmedium in den Unternehmen sein würde. Der Begriff Digitaler Zwilling war noch nicht geprägt. Es hängt jetzt wie damals bei CAD davon ab, was die Anbieter zur Verfügung stellen, und noch mehr davon, was die Anwender beim Kunden damit machen.

Plattform heißt nicht mehr: eine proprietäre Grundlage, bei der der Hersteller bestimmt, was darauf laufen darf. So war es in der alten OT und IT. Es heißt jetzt: eine offene Basis für betriebsspezifisch optimale Prozesse. Best of Breed wird vom Marketing-Slogan zur Realität. Momentan sind vor allem die befreienden Auswirkungen auf OT und Automatisierung zu sehen. Aber auch in der IT werden sie sich bald zeigen.

Call for Input!

Industrie-Digitalisierung und die Marktübersicht Smart Automation werden diese Entwicklung intensiv verfolgen. Mit Berichten über die Entwicklungen der Plattformen und Informationen der Hersteller.

Hoffentlich bald auch mit Anwenderberichten, in denen die Industriekunden und ihre Experten selbst zu Wort kommen. Es ist der beste Weg, potenziellen Anwendern zu erklären, was an der neuen Art der Automatisierung besser, schneller und sicherer ist als an der bisherigen. Der Siegeszug der CAD-Software wäre ohne eine Fülle von Anwenderberichten vor 40 Jahren nicht denkbar gewesen.