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Matthias WeigeleViele reden vom Hinterherhinken des Mittelstands in Sachen Digitalisierung. In Uhingen hat ein typischer Vertreter der KMU’s aus eigenem Antrieb eine intelligente Plattformlösung gebaut, die die digital vernetzte Zukunft für den Maschinenbau zur Realität macht und beste Perspektiven für den globalen Ausbau bietet. Dafür gab es im Juli 2021 eine Auszeichnung als Leuchtturmprojekt für Industrie 4.0. Ein Interview mit dem Geschäftsführer von EWS Weigele, Matthias Weigele.

Ulrich Sendler: Herr Weigele, was hat Sie auf die Idee gebracht, mit der Tool-Arena (alle Bilder Tool-Arena) eine Plattform rund um das Angebot von Maschinen zur spanabhebenden Fertigung einzurichten?

Screenshot-Startseite-Tool-ArenaMatthias Weigele: Es war ein Vortrag zur Digitalisierung, aus dem ich mitgenommen habe, dass die digitale Zukunft auch der Industrie in der Horizontale liegt. Dass künftig nicht mehr der einzelne Hersteller mit dem einzelnen Kunden spricht, sondern sich alle Industrieverbraucher über Plattformen ihre Produkte einfach, sicher und besser zusammenstellen können. Wie es bei den großen E-Commerce Plattformen für Konsumgüter schon längst normal ist.

Was hieß das für Sie?

Weigele: Wir sind ein Hersteller von Werkzeugsystemen, die an Fräs- oder Dreh-Fräszentren zur Aufnahme von Schneidenträgern zum Einsatz kommen. Neben uns gibt es andere Unternehmen zum Teil im direkten Wettbewerb, und es gibt eine breite Palette von anderen Herstellern, deren Produkte ebenfalls für jede Maschine der spanabhebenden Fertigung essenziell sind. Spannvorrichtungen, Antriebe, Schneiden und vieles andere. Heute muss der Maschinenhersteller oder sein Kunde sich diese Komponenten bei den verschiedenen Anbietern zusammensuchen und dann für jedes Teil sicherstellen, dass es passt und funktioniert. Ein unerhörter Aufwand, den wir mit der Plattform Tool-Arena nicht nur überflüssig machen, sondern mit einem Angebot ergänzen, das es ohne diese Plattform gar nicht geben kann.

Was genau bietet die Tool-Arena?

Weigele: Zunächst sucht der Kunde hier grundsätzlich nur unter Komponenten aus, die garantiert zueinander passen, bei denen zu Beispiel der Konus und Durchmesser des Werkzeugs zu dem der Aufnahme an der Maschine passt. Deshalb sind bei uns die meisten Produkte nach DIN 4000 und ISO 13396 genormt. Wir arbeiten auch selbst in diesen Normungsgremien mit. Dann kann der Kunde die gewünschten Teile als digitalen Zwilling zusammenstellen und einschließlich aller Maße herunterladen. Aber das, was es ohne digitalen Zwilling und Plattform nicht gibt: Er kann die Teile virtuell in seine Maschine einbauen und in ihrer Funktion simulieren. Wer hier etwas bestellt, ist sicher, dass es genau so arbeitet, wie er es braucht.

Baugruppe Wendeplattenfräser

Welche Hersteller haben Sie auf der Plattform versammelt?

Weigele: Die Tool-Arena gibt es seit 2016. Wir haben sie als Start-up ausgegründet. Momentan bieten dort mit uns 12 weitere Markenhersteller ihre Werkzeuge, Spanntechnik, Messsysteme und anderes an. Von Albrecht Präzisionsfutter über Hachenbach Präzisionswerkzeuge bis Zoller, um nach dem Alphabet drei herauszugreifen. Sie alle 12 auf der Plattform in der Markenübersicht. Alle Hersteller in diesem Umfeld sind uns willkommen und eingeladen. Je mehr sich beteiligen, desto größer wird der Wert für die Kunden, ob sie nun Maschinenhersteller oder -nutzer sind. Die Tool-Arena ist eine Tochter von EWS Weigele, aber unsere Produkte sind dort gleichrangig mit denen anderer Hersteller zu finden.

Geschäft, das es ohne die Plattform nicht gäbe

Welches Geschäftsmodell verfolgen Sie mit der Tool-Arena?

Weigele: Das Prinzip ist einfach: Die Teilnahme an der Plattform selbst kostet den darauf anbietenden Hersteller nichts. Er soll ja einen Vorteil davon haben und mehr Produkte verkaufen. Wir sind erst mit einer Provision beteiligt, wenn ein Verkauf über die Tool-Arena zustande kommt.

Haben Sie mit den daraus resultierenden Einnahmen die eigenen Investitionen in die Plattform schon wieder hereinbekommen? Lohnt sich die Tool-Arena für Sie? 

3D-Konfigurator Tool-Arena Rendering

Weigele: Der Return on Investment ist noch nicht erreicht. Es dauert, bis Anbieter und Nutzer das neue Modell annehmen und es sich durchsetzen kann. Aber gelohnt hat sich unsere Investition trotzdem schon längst, und zwar aus zwei Gründen: Irgendjemand würde sicher früher oder später so einen Online-Marktplatz eingerichtet haben, darauf müssen wir nun nicht mehr warten, sondern wir sind jetzt von Anfang an dabei. Noch wichtiger aber ist: Wir mussten unsere eigenen Daten in Ordnung bringen. 3D-Modelle hatten wir natürlich vorher schon, und viele andere Schritte in Entwicklung und Produktion hatten wir bereits digitalisiert. Aber nicht in einer Form, die für einen digitalen Zwilling des Zusammenbaus mit anderen Komponenten und den Maschinen selbst gereicht hätte. Die Funktionssimulation hätte der Plattformkunde mit unseren früheren Daten nicht machen können. Insofern sind wir in der eigenen Organisation einen großen Schritt weiter als vorher.

Können Sie etwas über die technische Realisierung verraten?

Weigele: Wir haben einige fähige Mitarbeiter an Bord, die sich in der IT auskennen und wiederum andere kennen, die Experten in Sachen Vernetzung, Cloud und KI sind. Es war auch hier das Netzwerk, auf das es ankam. Als technologische Basis haben wir die Microsoft Azure Plattform gewählt. Aber zum größten Teil haben wir die Tool-Arena selbst und mit Hilfe externer Spezialisten programmiert. Genauere Details über die verwendeten Tools können sie von den Geschäftsführern der Plattform, Andreas Jäger und Niklas Vogt erfahren.

Auf welche Probleme sind Sie mit der Plattform gestoßen? Waren sie eher technischer oder anderer Art?

Weigele: Die technischen Herausforderungen sind ohne Zweifel da und signifikant. Die Din/ISO-Normen haben ihre Grenzen und spiegeln nicht jedes technisch wichtige Detail wider. Der größere Hemmschuh ist sicherlich die immer noch starke Zurückhaltung im Markt der B2B-Industrie, wenn es darum geht, mit Wettbewerbern und anderen gemeinsam die Kunden anzusprechen. Die Idee der Plattformökonomie widerspricht einfach dem gewohnten Denken, dass mein wichtigstes Kapital meine Kundendaten sind und dass sich mein Geschäft umso besser entwickelt, je fester ich diese Kundendaten für mich behalte und diese Kunden direkt bediene. Aber unsere Partner sehen, dass sich hier ein neues Geschäft entwickelt, an dem sie auf die herkömmliche Methode gar nicht teilhaben würden. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich, dass die Idee richtig war und sich der Ansatz als erfolgreich erweist.

Wo sehen Sie EWS Weigele und die Tool-Arena in Zukunft?

Weigele: Wir haben gerade Ende Juli von der Netzwerkinitiative „Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg“ eine Auszeichnung erhalten als einer der „100 Orte für Industrie 4.0 in Baden-Württemberg“. Wir sind hier in der Region stark verankert, aber unsere Kunden und Partner sind nicht nur in Deutschland. Wir haben als EWS Gruppe bereits Standorte in den USA und China, in Korea und Russland. Die Tool-Arena ist zweisprachig und wird sicherlich unsere globale Präsenz zusätzlich verstärken. Wir glauben daran, dass unsere Zukunft wie die des Industriestandorts Deutschland global und digital ist. Und halten es für wichtig, dabei ganz vorne dabei zu sein.