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Die SPS Smart Production Solutions 2024 vom 12.-14. November in Nürnberg ist die wichtigste Fachmesse für Industrie-Automatisierung. In diesem Jahr werden einerseits wieder zahlreiche Anbieter von Linux-basierten Plattformen ausstellen, andererseits dürfte in den Hallen auch die Abkündigung von Windows-Versionen für Industrie-PCs Gesprächsthema sein. Sie verschärft den Druck zum Wandel in Richtung Echtzeit-Linux.

Bis vor Kurzem war es für viele Fertigungsunternehmen fast selbstverständlich, Geräte mit Embedded Software und eigener Steuerung auf einem der Microsoft Windows Betriebssysteme laufen zu lassen. Fast so, wie für die meisten Anwender auf dem PC. Die Echtzeit-Aufgaben musste man dann mit ergänzenden Systemen erledigen. Jetzt deutet sich an, dass sich Microsoft aus dem Anwendungsbereich Fertigung weitgehend zurückzieht. Ein Windows nach dem anderen für Industrie-PCs wird abgekündigt. Ohne einen langfristig verlässlichen Ersatz.

Das dürfte Wasser auf die Mühlen unzähliger Softwareentwickler in der Industrie sein. Denn hier werden gerade Microservice-basierte App-Container auf Echtzeit-Linux zum Renner. Und nun sehen sich sehr viele Unternehmen, deren Verantwortliche bisher eher auf Microsoft setzten, gezwungen, innerhalb kurzer Zeit eine andere Lösung zu finden.

Die Logos von Windows und Linux auf meinem Bildschirm (Foto Sendler)

Machen oder Kaufen

Man kann mit dem offenen Echtzeit-Linux und etwas Erfahrung durchaus selbst ein unternehmenseigenes Betriebssystem für Embedded Software bauen. Damit ist man dann komplett unabhängig. Aber es kostet einen gewissen Aufwand an Mann-Tagen und ein bisschen Expertise, was bei dem ohnehin ziemlich gravierenden Mangel an Experten nicht für jedes Unternehmen eine Option darstellt.

Natürlich kann man diese Aufgabe externen Programmierern überlassen. Aber die Kosten sind auch dann nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus stellt sich vermutlich für die meisten die Frage, wie sinnvoll es ist, Entwicklungskapazitäten für Bau und Wartung eines Betriebssystems einzusetzen, dass in seinen Grundzügen für die meisten Unternehmen sehr ähnlich oder gleich gestrickt ist. Schließlich ist ja das große Plus von Linux: Es ist ein Standardbetriebssystem, das von einer riesigen Entwicklergemeinschaft weltweit kontinuierlich weiterentwickelt wird.

Und hier kommen die Plattformen ins Spiel, die seit etwa zehn Jahren einen eigenen Markt für völlig neue Automatisierungslösungen bilden. Alle basieren auf Echtzeit-Linux, in einigen Fällen sogar als offenes Betriebssystem, das Automatisierer gegen Lizenz auch für ihre eigenen Geräte und Steuerungen nutzen können. Mit der Sicherheit, dass bei einem nötigen Wechsel des Anbieters die Grundzüge der Microservice-Architektur eine einfache Portierung der eigenen Software und Geräte garantieren.

Stand der Marktübersicht Smart Automation vor der SPS 2024 mit drei exklusiven unterseiten (Grün hervorgehoben) Möglicherweise wird sich die Zahl von derzeit 12 Herstellern nach der SPS erhöhen. Auf jeden Fall wird sich die Marktübersicht verändern. (Foto Sendler).

Diese offenen Automatisierungsplattformen weisen große Unterschiede auf. Nicht alle unterstützen andere offene Systeme wie CODESYS; nicht alle sind gegen Lizenz auch für Dritt-Hardware einsetzbar; nicht alle bieten den gleichen Umfang an Anwendungsfeldern, für die Apps bereitgestellt werden – um nur einige der wichtigen Unterschiede herauszugreifen.

Eine Online-Umfrage von Industrie-Digitalisierung im Frühjahr 2024 haben 12 Hersteller solcher Plattformen beantwortet. Sie finden sich seit April in der Marktübersicht Smart Automation mit 13 Plattformen. Die Übersicht ist unabhängig, die Beteiligung kostenlos. Sie erlaubt einen ersten Vergleich der Plattformen. Beteiligt sind in alphabetischer Reihenfolge ihrer Firmennamen:

Bosch Rexroth mit ctrlX AUTOMATION, Contact Software mit Elements for IoT, FLECS Technologies mit FLECS, German Edge Cloud mit ONCITE DPS, KEBA AG mit Kemro X, Lenze mit Lenze NUPANO, Phoenix Contact mit PLCnext Technology, SALZ Automation mit SALZ Controller, Siemens mit Industrial Operations X, TTTech Industrial Automation AG mit Nerve, WAGO mit WAGO OS und WAGO ctrlX OS, und Weidmüller mit easyConnect / u-OS.

Der erste große Unterschied: Zwei von ihnen, Contact Software und Siemens, kommen aus der IT und bieten die Plattform als Teil ihrer großen Systeme von Unternehmenssoftware.

Contact Software ist ein bekannter Anbieter von PLM-Software, der in den letzten zehn Jahren sein System auf eine neue Architektur umgebaut hat. Ein Fertigungs-Automatisierer ist Contact Software nicht. Vielleicht deshalb findet deren Kundenveranstaltung Open World 2024 gleichzeitig mit der SPS statt, auf der Contact als einziger aus der Marktübersicht nicht vertreten ist.

Siemens ist zwar auch Automatisierer und hat mit seinen Simatic Steuerungen und dem TIA-Portal für das Produktionsengineering einen enormen Kundenstamm. Aber die Automatisierungslösungen sind hier auch nach etlichen Jahren der Integration nach wie vor Insellösungen neben der PLM- und MES-Software, und die neue Plattform erscheint nur begrenzt offen.

Automatisierung neu definiert

Die anderen zehn Anbieter sind Automatisierungsanbieter. Aber auch da gibt es große Unterschiede und unterschiedlich enge Verknüpfungen. Insgesamt dürfte die Offenheit der Plattformen dazu führen, dass die Ökosysteme zunehmend ineinandergreifen und sich überschneiden. Denn es liegt in der Natur der Microservice-Architekturen, dass nicht mehr jeder alles selbst erfinden muss.

So nutzen mehrere der Anbieter (zum Beispiel Lenze, SALZ, WAGO und Weidmüller) Teile des Angebots von FLECS Technologies, die wiederum für Betriebssystem, App-Store (bei FLECS „Marktplatz“) und Infrastruktur ein White-Labeling ermöglichen und dies zu ihrem Hauptgeschäftsmodell gemacht haben. Neben Automatisierern nutzen auch zahlreiche Maschinenbauer ihre Plattform. Erst 2021 gegründet, ist das Startup bereits ein bekannter Name im Umfeld von Industrie 4.0 und offener Automatisierung.

TTTech Industrial Automation (TTTech Industrial Unterseite zur Marktübersicht) wurde 2019 speziell für das Angebot der offenen, Linux-basierten Plattform Nerve gegründet. Es gibt zwar auch Hardware, aber sie macht nur einen kleinen Anteil am Gesamtgeschäft aus. Kürzlich hat übrigens eine Schwester von TTTech Industrial mit Ubique eine weitere Automatisierungsplattform gelauncht.

SALZ Automation wurde auch erst 2021 gegründet, positioniert sich aber als Allround-Automatisierungsanbieter mit Hard- und Software und nutzt für seine Hardwareproduktion mehrere Standorte weltweit. KEBA Industrial bietet unter dem Namen Kemro X eine umfassende Hard- und Softwareplattform an und legt keinen besonderen Fokus auf die Software.

Bosch Rexroth, Lenze, Phoenix Contact, WAGO und Weidmüller sind typische Automatisierungsanbieter und seit langem mit eigener Software für ihre Geräte und Steuerungen am Markt. In den letzten Jahren wurde hier der grundlegende Wechsel zur offenen, Microservice-basierten Architektur vollzogen.

Bosch Rexroth (Unterseite Bosch Rexroth zur Marktübersicht) ist wohl am weitesten mit der eigenen Positionierung nun als umfassender Anbieter der offenen Automatisierungslösung ctrlX AUTOMATION mit einem ziemlich schnell wachsenden und umfangreichen Ökosystem und einem Netzwerk namhafter Partner in der ctrlX World. WAGO war einer der ersten Partner, die für ihre Geräte unmittelbar auf ctrlX OS setzen.

Update zur SPS 2024

German Edge Cloud (GEC Unterseite zur Marktübersicht) wurde 2021 als Unternehmen der Friedhelm Loh Group gegründet. Seine Softwareplattform ONCITE Digital Production System (DPS) hat einerseits beim Aufbau eines neuen Rittal-Werks in Haiger den Kern der Smart Factory geliefert. Das Werk in Haiger ist inzwischen ein Industrie 4.0 Vorzeigewerk. Aber die Plattform ist auch bei weiteren Kunden wie im Smart Press Shop von Porsche und Schuler im produktiven Einsatz.

Die Zahl solcher Plattformen ist weiter im Wachsen begriffen. Kürzlich hörte ich von einem Industrieunternehmen, das gerade 23 Plattformen in der Auswahl hat. Ich hoffe, auf der SPS Smart Production Solutions vom 12. bis 14. November in Nürnberg weitere Informationen zu bekommen und weitere Plattformen kennenzulernen. Denn diese Messe ist – neben der Industriegroßmesse in Hannover – derzeit wohl der wichtigste Treffpunkt für ein jährliches Stelldichein der Plattformanbieter.

Die SPS dürfte auch für die Entwickler von Embedded Software hoch interessant sein. Das Neue, das die jungen Spezialisten suchen und selbst machen wollen, die Alternative zum alten Monolithischen und Windows-Basierten, also die Apps einer Composable Software – hier finden sie reichlich Stoff zum Anknüpfen, Nutzen und Nachmachen. Man sieht sich.