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CAD: Das ist nicht einfach ein Tool, mit dem Entwicklungsingenieure Produkte gestalten. CAD steht wie keine andere Technologie für den Beginn der Digitalisierung der industriellen Prozesse und die Durchdringung der gesamten Industrie mit dem Digitalen.

Und obwohl CAD schon seit Jahrzehnten nicht mehr der Haupttreiber der Innovation ist, hat es nicht aufgehört, weiter im Zentrum aller Anstrengungen zu stehen, die heute „Digitale Transformation“ zur Überschrift haben. Das und nicht Nostalgie war das Motiv für diese Serie im „Hintergrund“. Sie wird auch in der „Konstruktionspraxis“, Vogel Verlag, veröffentlicht.

Die Industrie digital zu transformieren, also vor allem: neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die mehr auf datenbasierter Dienstleistung als auf Produktion und Produktverkauf setzen, das wäre ohne den digitalen Zwilling in Form der Geometriedaten von Produkt und Produktionsanlage, von Maschine und Werkzeug, von Fabrikhalle und Anwendungsumgebung nicht möglich. Das heißt, ohne CAD wäre all das nicht möglich, denn für die Industrie ist ein Kern des digitalen Zwillings das CAD-Modell.

Es gäbe auch keinen 3D-Druck, um eine gänzlich neuartige Fertigungsmethode zu nennen, die sich nur auf Basis von CAD entwickeln konnte. Es gäbe nicht die automatisierte NC-Programmierung, nicht die Zusammenbauprüfung am Bildschirm, nicht die einfach und fast für jedermann zugängliche Finite Elemente Berechnung hoch komplexer Bauteile. CAD als Umsetzung der Produktgeometrie in ein digitales Computermodell war der Startpunkt für eine Vielzahl von neuen Technologieentwicklungen, die mit Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) sicher noch nicht beendet sind.

In vielen anderen Zweigen der Wirtschaft, in den Versicherungen und Banken, im Handel, in der Logistik und generell im Transport, mag es ohne CAD gehen. Da sind Daten über Auftragsabwicklung und Flottenauslastung, Lagerbestand, Kapitalrücklagen und anderes das Entscheidende. Aber nicht in der Industrie, die Konsumgüter, Maschinen, Anlagen und anderes herstellt und liefert. Ebenso wenig übrigens in der Architektur und im Tiefbau, aber diese Hintergrundserie beschränkt sich auf CAD in der Fertigungs- und Prozessindustrie.

Der Anfang: Geometriedaten des Produkts

Die Digitalisierung der industriellen Wertschöpfungsprozesse begann also vor rund einem halben Jahrhundert mit CAD. Das Kürzel entstand sogar noch früher und war wahlweise die Abkürzung für Computer Aided Drafting, also computergestütztes Zeichnen, oder Computer Aided Design, also computergestützte Konstruktion.

Eine der ersten, weil auffälligsten und am weitesten verbreiteten Stoßrichtungen war die Rationalisierung der Konstruktion. Das Zeichenbrett wurde ersetzt durch die Arbeit am Bildschirm, die technischen Zeichner durch CAD-Anwender. Das begann in den Siebzigerjahren. Gute Gründe waren die hohen Kosten in der Konstruktion und die lange Zeit, die ein Produkt von der Idee auch nur bis zur Produktion brauchte.

Es dauerte nämlich sehr lange, bis eine von Hand erstellte technische Zeichnung freigegeben werden konnte. Und vor ihrer Freigabe konnte kein weiterer Entwicklungsschritt getan werden. Die Korrektur eines kleinen Radius in irgendeiner Ansicht oder in mehreren konnten technische Zeichner mit Rasierklinge und Tuschestift Stunden oder auch Tage beschäftigen. Das war teuer, kostete viel Zeit und tatsächlich auch Nerven der Zeichner. Es war eine unangenehme Routinetätigkeit. Mit CAD sollte es nicht nur schneller gehen. Einmal freigegeben, stand die Zeichnung digital zur Wiederverwendung bereit, in derselben Genauigkeit wie das Original.

Gelbe Linien auf grünem Schirm

Das war ein wichtiges Motiv, das nach und nach die großen Industrieunternehmen dazu bewegte, mit den verfügbaren Computern, Programmiersprachen und Grafikbildschirmen ihre eigenen CAD-Systeme zu entwickeln. Aber schon zu Beginn waren die möglichen Potenziale von CAD für CAM, CAE und Simulation aller Art mit auf der Agenda. Auch wenn in den ersten Jahren viele dachten, dass es sich dabei nur um Anwendungsbereiche weniger Spezialisten handelte. Was sich im Laufe der Zeit als enorme Unterschätzung erwiesen hat.

Es gab Grafikbildschirme, auf denen die Geometrie in hellen Linien auf dunkelgrünem Monitor erschien. Programmiert wurde an einem anderen Computer, der über eine Eingabetastatur für alphanumerische Zeichen verfügte und die Daten der compilierten Programme an den Grafikbildschirm schickte. Als Computer waren erst hauptsächlich Großrechner und ab den Achtzigerjahren verschiedene Middleware Systeme und UNIX Workstations im Einsatz. Der PC kam Mitte des Jahrzehnts, und darauf lief zunächst vor allem allgemeine Bürosoftware, CAD war eines der letzten Anwendungsfelder.

Diese Art und Weise, wie CAD in der Industrie Fuß fasste, ist sehr typisch für die Art, wie das Digitale generell in einen Lebens- und Arbeitsbereich nach dem anderen vordrang. Zuerst wird der Computer als Hilfsmittel genutzt, um die in der Praxis erprobten und gewohnten manuellen Tätigkeiten zu unterstützen oder zu ersetzen. Deshalb waren auch die Begriffe, die mit „Computer Aided“ begannen, durchaus zutreffend. Der Computer wurde zur Unterstützung, Beschleunigung und Verbesserung eingesetzt, aber das änderte noch nichts am Prozess und an der Methodik.

Aufstieg und Konsolidierung einer ganz besonderen Branche

Schon für diese erste Stufe von CAD befanden die Industrieunternehmen nach einigen Jahren, dass Softwareentwicklung für die Konstruktion nicht zum Kerngeschäft gehörte, sehr viel kostete, was sich nur für den eigenen Gebrauch auf Dauer nicht rechnete. CAD wurde ausgelagert und zu einem neuen industriellen Geschäftsfeld. Firmen schossen aus dem Boden, bis gegen Mitte der Achtzigerjahre über hundert CAD-Anbieter eine eigene Branche bildeten.

Der zweite Schritt war schon bald die Entwicklung von 3D-Flächen- und Volumenmodellierern. Sie lieferten Daten, die eine für jedermann verständliche Darstellung des Produkts auf dem Bildschirm erlaubten. Räumliches Vorstellungsvermögen bei der Betrachtung der verschiedenen Ansichten technischer Zeichnungen war nicht mehr erforderlich. Und die 3D-Modellierung veränderte nun tatsächlich die gesamte Methodik der Produktentwicklung.

Die meisten Namen der CAD-Anbieter sind inzwischen vergessen und Geschichte, selbst wenn ihre Produkte noch Nukleus heutiger Programme sind. Applicon, Cisigraph, Computervision, EUKLID, Intergraph, Matra Datavision, SDRC, Unigraphics, um die Bekanntesten der international Erfolgreichen zu nennen. In dieser Zeit spielten auch deutsche Hersteller noch eine zumindest in Europa nicht unwesentliche Rolle. Dazu gehörten PC-Draft und Ziegler Informatics (CADDY), und auch am deutschen Standort von Hewlett-Packard in Böblingen wurden mit ME10 und später ME30 und SolidDesigner einige ziemlich gut verbreitete Systeme entwickelt.

Übrig blieb schließlich nach einer den gesamten Markt umfassenden Konsolidierung eine Handvoll Hersteller, die nun weltweit positioniert sind. Autodesk, Bentley Systems, Dassault Systèmes, PTC und Siemens. Das sind auch die Namen der Hersteller, die ich für diese Serie angesprochen habe. Von Dassault Systèmes, PTC und Siemens wurde mir bereits Mitwirkung signalisiert.

(Die Grafik zeigt die Mitglieder des CADcircle (heute sendler\circle) Ende der Neunzigerjahre mit ihrem Angebot.)

CAD geht in die Cloud

Heute ist CAD kaum wiederzuerkennen. Mit der geradezu spielerischen Simulation und Berechnung von 3D-Modellen und der Möglichkeit, allmählich selbst große, komplexe Produkte wie Autos, Maschinen oder sogar Prozessanlagen am Bildschirm zu einem Digital Mock-Up zusammenzubauen, wurde das 3D-Modell zum zentralen Medium industrieller Produktentwicklung. Und je komplexer die Modelle werden konnten, je vielfältiger die Nutzung der Modelldaten wurde, desto dringender kam der Zwang zu elektronischem Datenmanagement, an dessen Ende mit PLM das Datenmanagement über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes stand. Oder der digitale Faden, der Digital Thread eines Produktes.

CAD war über all diese Jahrzehnte immer fachspezifisch. Es gab das mechanische, elektrische und elektronische Design. In der Regel waren und sind dies getrennte Systeme mit unterschiedlichen Datenmodellen und -formaten. Erst in letzter Zeit steigt in der Fertigungsindustrie der Druck, sie für ein interdisziplinäres Systems Engineering zusammenzuführen.

Nun gehen die Systeme in die Cloud oder es gibt nochmals neue, die direkt als Cloud-Software entwickelt werden. Der CAD-Arbeitsplatz der Zukunft ist ein mit dem Internet verbundener Computerarbeitsplatz mit einem guten Grafikmonitor. Die Software muss nicht mehr am Arbeitsplatz oder auf einem Unternehmensserver installiert sein. Sie lässt sich über die Cloud nutzen. Damit ist CAD-Anwendung in der Industrie so selbstverständlich und grundlegend geworden wie in der Gesamtgesellschaft das Notebook, der Tablet-PC und das Smartphone, und sie lässt sich auch auf all diesen jedermann zugänglichen Geräten finden.

In den Einzelbeiträgen, für die mir Experten oder sogar Geschäftsführer zum Interview zur Verfügung stehen, lässt sich nachvollziehen, was die DNA der Hersteller ausmacht, welche Schwerpunkte sie in Sachen CAD jeweils setzen, und welche Rolle sie der Technologie für die Zukunft einräumen, die vor mehr als 40 Jahren an ihrer Wiege stand.