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Open Source in der Fertigung mit FLECS

Interview mit FLECS Technologies Geschäftsführer Samuel Greising

 

FLECS Technologies, Hersteller der Linux-basierten Automatisierungsplattform FLECS, (- eine der Plattformen in der Marktübersicht Smart Automation -) wurde 2021 gegründet und hat seinen Sitz in Kempten. Die Gründer und Geschäftsführer sind Alexander Reichert (Technik), Patric Scholz (Finanzen/Vertrieb) und Samuel Greising (Produktplanung).

Innerhalb kurzer Zeit sind dem Unternehmen erstaunliche Erfolge gelungen. Zu den Partnern und Kunden zählen etwa Baumüller, Lenze, Salz Automation, SEW Eurodrive, Software Defined Automation, TTTech und Weidmüller. Mit Wibu Systems zusammen bietet der Hersteller Cybersecurity für Industrie-Apps. Und in der Open Industry 4.0 Alliance (OI4) leitet Samuel Greising die Arbeitsgruppe Application Management.

Das Angebot richtet sich an Hersteller von Speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS), Maschinenbauer und Anbieter von Apps im Umfeld der Fertigungsindustrie. FLECS will die Softwareentwicklung und Vermarktung von Industrie-Apps vereinfachen und als automatisierten Service bieten.

Im Gespräch erläutert Samuel Greising die Firmenstrategie.

Die Gründer und Geschäftsführer von FLECS Technologies, Patric Scholz, Alexander Reichert und Samuel Greising (von links, Copyright Allgäu GmbH , Tobias Hertle)

Ulrich Sendler: Herr Greising, Sie waren zuletzt bei CODESYS Produktmanager für deren Softwareplattform Automation Server. Wie kamen Sie und Ihre Mitgründer auf die Geschäftsidee einer neuen Linux-basierten Plattform FLECS?

Samuel Greising: Wir haben uns bei CODESYS kennengelernt und bei unserer Arbeit mit Industriekunden gesehen, dass immer mehr neue SPS und Industriecomputer auf Linux zum Einsatz kommen. Ich würde schätzen, dass das heute schon für mehr als 90 % neuer Lösungen gilt. Das ermöglicht, auch in der Fertigung so einfach mit Apps zu arbeiten, wie wir das vom Smartphone kennen. Aber nicht jedes Unternehmen hat das Know-how und die Ressourcen, um seine eigene Plattform dafür zu bauen. Deshalb war unsere Idee, dies als Open-Source auf den Markt zu bringen. Und über unseren Marktplatz können Kunden Hard- und Software herstellerunabhängig anbieten und beziehen.

Ulrich Sendler: Was ist der große Unterschied zwischen Linux und anderen Betriebssystemen?

Samuel Greising: Die Echtzeitfähigkeit. Die ganze Softwareentwicklung im Shopfloor, die Operation Technology (OT), hat vor Jahrzehnten einen Sonderweg abseits der allgemeinen IT eingeschlagen, weil im Unterschied zum Arbeiten mit PC und Smartphone bei Maschinen und deren Steuerungen eine Reaktion zumindest sehr nahe der Echtzeit zwingend ist. Dafür haben die Hersteller ihre eigenen Systeme entwickelt. Für bestimmte, meist eigene Hardware und mit einem vorgegebenen Funktionsumfang. Aber diese monolithischen und proprietären Systeme sind für die derzeitigen Anforderungen in der Industrie viel zu starr. Mit Linux kann dieser Sonderweg verlassen werden. Losgröße 1 und eine teilweise sich selbst steuernde Fabrik sind damit nicht zu realisieren. Auf Linux-Basis schon.

Samuel Greising ist bei FLECS Technologies für die Produktplanung verantwortlich (Quelle: Allgäu GmbH, Tobias Hertle)

Ulrich Sendler: Das klingt nach einem Selbstläufer. Wird künftig überall FLECS die Plattform für die Automatisierung sein?

Samuel Greising: Als Erstes haben wir gelernt, dass die Automatisierer und SPS-Hersteller auch weiterhin ein großes Interesse daran haben, dass sie Hard- und Software unter ihrem eigenen Branding vermarkten. FLECS bietet deshalb White-Labeling. Unter welchem Namen die Plattform eingesetzt wird, überlassen wir dem Kunden. Einige von ihnen wie SALZ Automation oder SEW Eurodrive nennen das „Powered by FLECS“. Aber die Plattform muss richtig offen sein. Open Source. Nicht nur so genannt. Alle, die das versucht haben, sind schnell wieder vom Markt verschwunden. Künftig werden alle in der Industrie mit Hardware und Apps aus ganz unterschiedlichen Quellen arbeiten wollen.

Ulrich Sendler: Ihre Offenheit und Ihre Kompetenz in Sachen Echtzeit-Linux sind also ein Grundpfeiler des schnellen Erfolgs. Gibt es weitere?

Samuel Greising: Unsere Kunden überlassen uns sehr gerne auch das Management und die Prüfung ihrer Apps auf Sicherheit. Jetzt auch zusammen mit unserem Partner Wibu Systems. Wir bieten Continuous Integration Continuous Deployment (CICD). Und wir liefern die Monetarisierung von digitalen Diensten über Apps als automatisierten Service. Das ist unser zweites Alleinstellungsmerkmal.

Die Vorteile von Linux liegen auf der Hand. Was gefehlt hat, waren gute Möglichkeiten, die industrielle Anwendung zu vereinfachen. Was für Großkonzerne möglich ist, ist für die meisten Unternehmen eine große Hürde.

Ulrich Sendler: Werden Offenheit und die Nutzung von Standards irgendwann dazu führen, dass es auch in der Industrie nur noch ein oder zwei Betriebssysteme oder Laufzeitumgebungen gibt?

Samuel Greising: Nein, das glauben wir nicht. Dazu sind die Anwendungsfelder und die eingesetzten Geräte und Maschinen viel zu breit gefächert, die Funktionalitäten viel zu spezifisch. Da werden noch mehr Plattformen entstehen. Aber entscheidend wird sein, dass sich jeder für eine ganz konkrete Aufgabe am Markt sehr einfach und schnell die beste Hard- und Software besorgen kann. Und dass die für ihn optimalen Produkte dann auch reibungslos miteinander kommunizieren und funktionieren, also kompatibel sind. Genau dabei wollen wir mit unserem Angebot ein wichtiger Faktor sein. Industrie 4.0 fängt gerade erst an, spannend zu werden.

Ulrich Sendler: Der deutschen Industrie wird derzeit von vielen nachgesagt, dass sie im internationalen Vergleich zu langsam in der Digitalisierung und zu wenig innovativ ist. Wie sehen Sie den Standort des deutschsprachigen Raums bezüglich der Automatisierung im Vergleich zu China und den USA?

Samuel Greising: Derzeit gibt es weder in den USA noch in China wichtige Wettbewerber mit Linux-basierten Industrieplattformen. Da haben wir im Moment wohl noch die Nase vorn. In den USA sieht die Industrie unsere Lösung sogar als typisch amerikanisch. Schließlich hat der E-Commerce generell ja dort seinen Ursprung. Und wir bieten ihnen jetzt so etwas auch für die Fertigungsindustrie. In China kann sich die Situation sehr schnell verändern, weil dort die Regierung sehr gezielt und massiv die technologische Innovation fördert. Dass daraus auch in der Automatisierung ein globaler Player entsteht, damit ist zu rechnen. Aber derzeit sind wir hier gut aufgestellt.