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Von 1995 bis 2023 hatten die Anbieter von Engineering Software, also CAD/CAM, PDM/PLM, Simulation etcetera, in Deutschland ein Netzwerk, das in dieser Art weltweit einmalig war. Obwohl die Mitglieder – in den ersten Jahren ausschließlich aus der Geschäftsführung – die wichtigsten Wettbewerber in diesem speziellen IT-Markt waren, haben sie ein Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut, das ihre Konzernmütter in den USA oder in Frankreich nicht selten mit großer Skepsis beargwöhnt haben. Und doch hat der Kreis nicht nur für die Anbieterbranche, sondern auch für die große Zahl der Anwender in der Fertigungsindustrie sehr positive Auswirkungen gehabt.

Weil es lehrreich ist gerade in einer Zeit, in der das Netzwerken unter Menschen an Ansehen einbüßt, wenn es nicht in den sozialen Medien stattfindet, will ich in einer kleinen Artikelreihe über einige der sehr zahlreichen Erfahrungen berichten.

Ein weiterer Aspekt: Die heute in der Industrie für die IT Verantwortlichen wissen von vielen Entwicklungen, an denen der sendler\circle aktiv beteiligt war, gar nichts mehr. Es wird also ein Mini-Nachschlagwerk in Sachen Industriesoftware und Industrie-Digitalisierung über fast drei Jahrzehnte.

Weil der sendler\circle seine Landing Page auf meiner persönlichen Homepage hatte, werden diese Berichte anschließend auch dort unter der Rubrik sendler\circle zu finden sein.

 

Die Geschichte des sendler\circle – Teil 1: Der CADcircle

Dass der sendler\circle im Sommer 1995 als „CADcircle“ gegründet wurde, lag daran, dass CAD zu dieser Zeit eine ganz zentrale Lösung für die Fertigungsindustrie war und sich eine eigene IT-Branche um dieses Thema gebildet hatte. Die Industrie hatte nämlich große Probleme in der mechanischen Konstruktion, die mit Software gelöst werden konnten: Die Konstruktion neuer Produkte dauerte viel zu lange, war viel zu teuer und bremste die Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Denn die hing zu dieser Zeit noch fast ausschließlich an der Mechanik.

Kurzer Rückblick auf die CAD-Geschichte

Der Ersatz des Zeichenbretts, mit dem technische Zeichner die Ideen der Konstrukteure mit Tuschestiften auf großformatige Blätter brachten, durch Computer, Grafikbildschirm und Plotter – das kam als Produkt zuerst aus den USA und hieß Computer Aided Design oder Drafting, kurz CAD.

Großunternehmen mit ausreichendem Forschungsbudget entwickelten weltweit zuerst eigene CAD-Programme, die zu ihrem Produktdesign passten. Aber schon bald gingen etliche Firmen dazu über, diese Spezialabteilungen als eigene Unternehmen auszugliedern und die Programme generell nutzbar zu machen. Der Bedarf war ja industrieweit vorhanden. Das Produkt CAD rechnete sich schnell. Immer mehr Unternehmen waren bereit, Geld dafür auszugeben, und das waren anfangs große Summen. Zeitweilig gab es Preise für einen einzigen CAD-Arbeitsplatz mit Hard- und Software von mehr als 150.000 DM.

Schon in den ersten Jahren gingen die Programmierer allerdings weit über die Zeichnungserstellung hinaus. War die Geometrie einmal erfasst, konnte man schließlich Berechnungen aller Art damit anstellen. Und neben die Darstellung der ebenen Ansichten einer technischen Zeichnung trat bald das dreidimensionale Modell der konstruierten Teile und Baugruppen. Auch wenn es etliche Jahre dauerte, bis es sich als Standard durchsetzte.

Über die Zwischenschritte von sogenannten Minicomputern und CAD-Workstations ging die Computerentwicklung vom Großrechner in Richtung Miniaturisierung und Massenmarkt. 1985 startete Microsoft seinen Siegeszug mit dem Geschäft von Software auf PCs diverser Hersteller. Und nur ein paar Jahre später war auch CAD massenhaft auf PCs selbst in kleinsten Unternehmen im Einsatz.

Damit war – spätestens ab den Achtzigerjahren – eine neue Industriesparte entstanden. Die CAD-Branche wuchs schnell. Ende des Jahrzehnts gab es wohl Hunderte von Anbietern in den führenden Industrieländern, auch wenn viele von ihnen gar keine eigene Software verkauften, sondern fremde Programme unter eigenem Namen. Ein Beispiel: Der damals in Hamburg erfolgreiche Anbieter von Zeichenbüro-Utensilien wie Tuschestiften, Zirkeln und Zeichenbrettern, Rotring, kam mit rotring euroCAD auf den Markt, das ein System des britischen Herstellers Pafec war.

Die Geburt des CADcircle

Mitte der Neunzigerjahre – ich hatte einige Jahre als Journalist bei der Fachzeitschrift CAD-CAM Report in Heidelberg CAD-Systeme getestet und darüber geschrieben, dann als freier Journalist für zahlreiche führende Hersteller Anwenderberichte verfasst – kamen mehrere Anbieter auf mich zu und schlugen vor, die Geschäftsführer aller wichtigen Hersteller in Deutschland zu einem Roundtable einzuladen. Man wollte sich zumindest einmal persönlich kennenlernen.

Meine Einladung wurde von allen 14 angeschriebenen Geschäftsführern angenommen: Dieter Höfler, Autodesk; Michael Laurim, Bentley Systems; Erwin Schöndlinger, Computervision; Peter Kastner, EDS Unigraphics Systems; Heinz Diebel, Hewlett-Packard; Martin Jetter, IBM; Fritz Kuederli, Icem Technologies; Thomas D. Grevel, Intergraph; Michael Nagel, Matra Datavision; Joachim Fietz, Parametric Technology; Ulrich Luer, SDRC; Karlheinz Peters, Spatial Technology; Gerhard Lutz, Strässle Informationssysteme; Norbert Urmetzer, Ziegler Informatics.

Eine illustre Runde. Martin Jetter, der spätere Chef der großen IBM, vertrat zu diesem Zeitpunkt den Bereich Engineering Software von IBM, der über 25 Jahre fester und exklusiver Partner für Marketing und Vertrieb von Dassault Systèmes war. Heinz Diebel hatte die Mannschaft um das HP ME10 und später ME30 unter sich. Von SolidDesigner war noch keine Rede. Computervision ging später an PTC. EDS Unigraphics Systems landete nach zahlreichen Umbenennungen und Besitzerwechseln bei Siemens und ist heute der Kern von Siemens Digital Industries Software.

Am Ende des eintägigen Meetings im damaligen Hotel Rafael in München beschlossen die Teilnehmer unisono, sich unter meiner Moderation künftig dreimal im Jahr zu treffen, um Marktentwicklung, Technologie-Trends und bei Bedarf gemeinsame Aufgaben hinsichtlich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zu besprechen.

Das Hotel Mandarin Oriental im Zentrum Münchens war als Hotel Rafael 1995 der Geburtsort des CADcircle (Foto mit freundlicher Genehmigung des Hotels Mandarin Oriental)

Begleitung von Aufstieg und Konsolidierung der CAD-Branche

Flyer aus der Zeit um die Jahrtausendwende, als der CADcircle um die 30 Mitglieder hatte (Foto Sendler)

In der Folge hat der CADcircle einige Male Marktstudien unter anderem beim Marktforschungsinstitut techconsult in Kassel in Auftrag gegeben, deren Kosten jeweils eine Reihe der Mitglieder gemeinsam trug, und über die ich öffentlich berichten durfte. So war unter anderem die Frage der wachsenden Rolle von 3D ein großes Thema, an dem im Übrigen einige der Mitgliedsfirmen unternehmerisch scheiterten. Dieses Scheitern war in den regelmäßigen Gesprächen über die Marktentwicklung in unserer Runde früher als im Markt zu ahnen.

Es gab auch gemeinsame Aktivitäten wie das CeBIT Management Forum 1999 zum Thema „Vereinigte Staaten von Europa – Vorbild USA?“. Moderator war Tagesschausprecher Jan Hofer, Referenten waren Auslandskorrespondent Dr. Dieter Kronzucker und Prof. Dr. Michael Abramovici. Der CADcircle war für die Deutsche Messe AG so wichtig, dass sie uns den Raum auf der Messe zur Verfügung stellte.

Über viele Jahre habe ich jährlich die Geschäftszahlen der Hersteller gesammelt und mit deren Erlaubnis das summarische Ergebnis für die gesamte Branche veröffentlicht. Es waren lange Zeit die einzigen öffentlichen Zahlen über Umsätze in den verschiedenen Einsatzfeldern.

Einige der circle-Mitglieder, zum Beispiel Autodesk, IBM, Intergraph oder Ziegler Informatics, hatten außer Mechanik-CAD auch CAD für Architektur, Elektrotechnik oder Geografische Informationssysteme im Portfolio. Sie drängten darauf, den Kreis um die führenden Anbieter auch in diesen Märkten zu erweitern. So wuchs der CADcircle zeitweilig auf über 30 Mitglieder an, bevor eine gründliche Marktkonsolidierung nach der Jahrtausendwende zu einem grundlegenden Einschnitt führte.

In einem Meeting Anfang 2002 gab ich im circle bekannt, dass ich künftig auf die Anbieter von Software im industriellen Engineering konzentrieren wollte. Meiner Ansicht nach war das Thema Geometriedatenerfassung und -verarbeitung mit CAD nicht mehr der Innovationstreiber in der Industrie. Vielmehr begann die Frage des Prozess- und Datenmanagements ins Zentrum zu rücken.

Gleichzeitig wurden die Unterschiede in der Entwicklung von Software für Fertigungsindustrie, Architektur und Geo-Daten so groß, dass mir ihre gemeinsame Behandlung im circle nicht mehr sinnvoll erschien.

2002 wurde Produkt-Lebenszyklus Management (PLM) zum großen Thema in der Industrie und für etliche Jahre auch zum neuen Hauptthema des circle, den ich mit Zustimmung der Mitglieder in sendler\circle umbenannte. Denn wie lange das Thema PLM heißen würde, war ja keineswegs abzusehen. Und damit begann Teil 2 der Geschichte.