Bei der Recherche für den „KI-Kompass für Entscheider“ stieß ich immer wieder auf die Frage, was denn eigentlich unter Künstlicher Intelligenz zu verstehen sei, und was ich darunter verstünde. Die Vielfalt der Definitionen ist in der Tat groß und nicht immer fällt es leicht, eine intelligent programmierte Softwarelösung von einer Lösung zu unterscheiden, der tatsächlich Methoden der Künstlichen Intelligenz zugrunde liegen.
Eine gewissermaßen offizielle Definition stammt von der Homepage der EU-Kommission und wurde im April 2019 veröffentlicht. Unter dem Titel „A Definition of AI: Main capabilities and disciplines“ (Eine Definition von KI: Die wichtigsten Fähigkeiten und Fachgebiete) findet sich allerdings gleich wieder die Einschränkung, dass diese Definition zwar von der EU-Kommission in Auftrag gegeben und veröffentlicht wurde, aber unter gar keinen Umständen als offizielle EU-Definition zu behandeln sei.
Die Kommission hatte im Juni 2018 eine sogenannte High-Level Expert Group on Artificial Intelligence (AI HLEG) zusammengestellt. Sie bestand schließlich aus 52 Experten. Vertreter von Konzernen wie Airbus, Bosch, IBM und SAP waren ebenso darunter wie zahlreiche Wissenschaftler diverser Universitäten und Forschungseinrichtungen, wobei die Fachdisziplinen von Robotik und Datenwissenschaft über Politikberatung bis zu theoretischer Philosophie reichten. Ethik-Spezialisten wie der Vertreter der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Schwachen und Banker zählten ebenfalls dazu. Die Definition der KI war die Basis, auf der die Expertengruppe anschließend die Formulierung von Richtlinien für vertrauenswürdige KI in Angriff nahm.
Im „KI-Kompass für Entscheider“ habe ich die Definition in Form einer eigenen Übersetzung wiedergegeben. Dabei habe ich mich beschränkt auf die Kurzfassung, die am Schluss des Papiers von der Expertengruppe zur Nutzung empfohlen wird:
„Systeme der künstlichen Intelligenz (KI) sind vom Menschen entworfene Software- (und möglicherweise auch Hardware-) Systeme, die angesichts eines komplexen Ziels in der physischen oder digitalen Dimension agieren, indem sie ihre Umgebung durch Datenerfassung wahrnehmen, die gesammelten strukturierten oder unstrukturierten Daten interpretieren, auf der Grundlage des Wissens argumentieren oder die aus diesen Daten abgeleiteten Informationen verarbeiten und über die beste(n) Maßnahme(n) zur Erreichung des gegebenen Ziels entscheiden. KI-Systeme können entweder symbolische Regeln verwenden oder ein numerisches Modell erlernen, und sie können auch ihr Verhalten anpassen, indem sie analysieren, wie die Umwelt durch ihre bisherigen Aktionen beeinflusst wird.
Als wissenschaftliche Disziplin umfasst die KI verschiedene Ansätze und Techniken, wie maschinelles Lernen (wofür tiefes Lernen und verstärkendes Lernen spezifische Beispiele sind), maschinelles Denken (das Planung, Terminierung, Wissensrepräsentation und Schlussfolgerung, Suche und Optimierung umfasst) und Robotik (die Steuerung, Wahrnehmung, Sensoren und Aktoren sowie die Integration aller anderen Techniken in cyber-physische Systeme umfasst)“.
(KI-Kompass für Entscheider, Hanser Verlag, München, erscheint im August 2020, Kapitel 2.1)
Vergeblich sucht man hier nach dem Wort „autonom“. Die Überhöhung der KI zu einer Technologie, die den Menschen möglicherweise in seiner Entscheidungsfähigkeit und letzten Verantwortung ersetzt und überflüssig macht, wurde in der Expertengruppe offensichtlich nicht favorisiert. Stattdessen konzentriert sich diese Definition darauf, was tatsächlich mit Daten, Datenwissenschaft und maschinellem Lernen möglich ist.
Die Frage, welche Entscheidungen der KI vom Menschen übertragen werden, welche Maßnahmen von der KI in der Praxis getroffen werden können und sollen, ist Gegenstand der Richtlinien für vertrauenswürdige KI, die von der AI HLEG ebenfalls im April 2019 veröffentlicht wurden.