Ein Gespräch mit Ulrich Ahle, Gründungs- und Vorstandsmitglied der International Data Spaces Association (IDSA) und CEO der Fiware Foundation.
Ulrich Ahle, Vorstandsmitglied der International Data Spaces Association (Foto Ulrich Ahle)
Ulrich Sendler: Herr Ahle, Sie gehörten zu den Gründern der International Data Spaces Association 2016. Was war das Ziel der Gründung?
Ulrich Ahle: Die IDSA wurde zunächst als Industrial Data Space Association gegründet. Insbesondere die Zusammenarbeit in den industriellen Lieferketten wurde immer intensiver und komplexer. Die Lösung konnte nur digital sein, und so wurden Konzepte entwickelt, um Datensouveränität zu ermöglichen: Wer einen Datensatz erzeugt hat, muss dem Empfänger seiner Daten vertrauen können. Dazu sollte er bestimmen und technisch erzwingen können, was jemand, der auf diese Daten zugreift, damit machen darf und machen kann. Was er darf, kann man in einem elektronischen Vertrag regeln. Aber was er tun kann, sollte technisch sichergestellt sein. Das nennen wir den Datenraum. Für die Konnektierbarkeit von Partnern an einen Datenraum wiederum entstanden die sogenannten Data Space Connectors. Der bekannte Standard EDI (Electronic Data Interchange) für den elektronischen Datenaustausch hilft in der Regel zwei Partnern, die sich kennen und ihre Verbindung mühevoll aufgebaut haben. Die Data Space Connectors lösen diese 1:1 Verbindung auf und schaffen einen Datenraum, in dem sich auch (bislang) unbekannte Partner an die gleichen Austauschformate und Regeln halten.
Zu diesem doppelten Zweck ist die IDSA von ursprünglich 11 Organisationen gegründet worden. Sie sollte eine Referenzarchitektur für solche Datenräume entwickeln und dann die Implementierung in konkreten Projekten und deren Zertifizierung unterstützen.
Ulrich Sendler: Was führte denn wenig später zur Änderung des Namens?
Ulrich Ahle: Es stellte sich schnell heraus, dass Datenräume nicht nur in der Fertigungsindustrie gebraucht werden, sondern nahezu überall. Eine Smart City wird es ohne sichere Datenräume nicht geben, eine Smart Mobility natürlich auch nicht. Beides sind inzwischen Leuchtturmprojekte für die Umsetzung der Konzepte entsprechender Datenräume. Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist schon wesentlich bekannter: Catena-X für die Digitalisierung der Lieferketten in der Automobilindustrie. Rasch wurde aber auch klar, dass Datenräume nicht nur deutsch oder europäisch sein können. Ob Lieferkette oder vernetzter Verkehr – Datenräume müssen international funktionieren. Und so wurde aus der Industrial die International Data Spaces Association.
Ulrich Sendler: Ein anderer Name, der in den letzten Jahren immer wichtiger wird, ist Gaia-X. Was ist das und welche Rolle spielt das in Zusammenhang mit Datenräumen?
Ulrich Ahle: Gaia-X wurde von Wirtschaftsminister Altmeier 2020 ins Leben gerufen. Es sollte europaweit eine Standardisierung der Regeln für die Datennutzung initiieren, die sich an der Praxis des deutsch-französischen Unternehmens Airbus orientierte. Denn Airbus war es in einer Zusammenarbeit mehrerer europäischer Länder gelungen, mit Unternehmen wie Boeing im globalen Wettbewerb zu bestehen. Gaia-X war eine Initiative mit zunächst 11 deutschen und genauso vielen französischen Organisationen. Mittlerweile hat die in Belgien beheimatete Organisation mehr als 300 Mitglieder. Im Oktober 2021 bildeten dann Gaia-X, IDSA, BDVA und die Fiware Foundation die Data Spaces Business Alliance (DSBA), um die jeweiligen Kräfte und Aktivitäten für die Realisierung von Datenräumen zu bündeln.
Ulrich Sendler: Sie erwähnten Catena-X. Was ist der Zweck von solchen Leuchtturmprojekten?
Ulrich Ahle: Die Referenzarchitektur und das Gesamtkonzept der Datenräume, die von der IDSA entwickelt werden, müssen in der Praxis in Architekturen und Datenräume für konkrete Anwendungsfälle umgesetzt werden. Von solchen Leuchtturmprojekten gibt es schon fast ein Dutzend. Catena-X war eins der ersten. Ziel sind globale Datenräume, denn die Automobil-Lieferketten sind weltweit extrem verteilt.
An diesem Beispiel lässt sich gut ablesen, wie die Leuchtturmprojekte funktionieren. Mit dem Eclipse Data Space Connector (EDC) wurde für Catena-X einer der Datenraum-Konnektoren geschaffen, die der Referenzarchitektur der IDSA folgen. Derzeit sind insgesamt fünf solcher Konnektoren im Zertifizierungsprozess. Sie sollen den Zugang zu Datenräumen erleichtern, indem sie dafür einen Standard bilden.
Aber Catena-X musste im Eclipse Data Space Connector einige Anforderungen abbilden, die in der zugrunde gelegten IDSA-Referenz-Architektur 3.0 noch nicht enthalten waren. Nun werden entsprechende Erweiterungen durch die IDSA dafür sorgen, dass die Version 4.0 wieder zum EDC passt. Es ist also ein gegenseitiges Anpassen notwendig. Die früher gekannten Standardisierungsmethoden sind nicht schnell genug für den jetzigen Bedarf in der Digitalisierung. Übrigens gibt die IDSA jedes Jahr zur Hannover Messe eine neue Version der Architektur frei.
Ulrich Sendler: Wie sorgt die Europäische Union dafür, dass diese von Europa ausgehende Initiative weltweit Anerkennung findet?
Ulrich Ahle: Die EU-Kommission hat das Digital Europe Program aufgesetzt. In dessen Rahmen wurde Ende 2022 unter anderem die Förderung eines Projektes beschlossen, das Data Spaces Support Centre heißt und zunächst bis 2026 läuft. Durchgeführt wird es durch ein Konsortium von 12 Organisationen, zu denen neben den Mitgliedern der Data Spaces Business Alliance unter anderem die Fraunhofer Gesellschaft und ähnliche Organisationen in den Niederlanden, Finnland und anderen Ländern gehören, oder die KU Leuven in Belgien für die rechtlichen Themen in Zusammenhang mit Datenräumen.
Dieses Konsortium hat das Mandat der EU-Kommission, die Rahmenbedingungen für die Realisierung interoperabler Datenräume in Europa zu definieren und die Umsetzungsprojekte, die bereits aufgesetzt wurden, zu unterstützen. Dabei sollen ca. 80 % der Bausteine solcher Datenräume domänenagnostisch sein, also überall genutzt werden können, und nur 20% domänenspezifisch. Ende 2022 wurden dazu Vorbereitungsprojekte aufgesetzt, die nach 12 Monaten übergangslos zu Umsetzungsprojekten werden.
Am Beispiel Catena-X sehen wir, wie schnell diese Initiative Fahrt aufnimmt. Catena-X Hubs gibt es schon in Texas, in Österreich und einer Reihe weiterer Länder, nicht nur in der EU.
Ulrich Sendler: Noch einmal zu Gaia-X: Damit wird also nicht versucht, eine europäische Cloud aufzubauen und gegen die derzeitigen Hyperscaler zu positionieren?
Ulrich Ahle: Sehr richtig. Die Cloudtechnologie und darauf basierende Services sind natürlich ein Kernelement künftiger Datennutzung, und insofern auch der mit Gaia-X und entsprechenden Projekten definierten Datenräume. Gaia-X will diese föderierten Services von beliebigen Providern so einbinden, dass sie zu den definierten Datenräumen und den dabei verfolgten Regeln passen. Es soll kein Konkurrenzangebot zu den vorhandenen Serviceprovidern schaffen.
Referenzarchitektur für Datenräume (Grafik DSBA)
Ulrich Sendler: Gibt es einen Zeitrahmen, wann wir mit konkreten Praxisanwendungen rechnen können?
Ulrich Ahle: Wir reden eher von Monaten als von Jahren. Catena-X etwa wurde vor zwei Jahren gestartet, und jetzt wird bereits im Herbst ein neues Projekt vorgestellt, dass die ganze Vorarbeit nutzt und für die Anwendung nicht nur im Umfeld der Automobilindustrie, sondern der gesamten Fertigungsindustrie vom Maschinenbau bis zu Flugzeug- und Schiffbau bereitstellt. Es heißt Manufacturing-X und wird sehr stark vom Bundeswirtschaftsministerium und der Plattform Industrie 4.0 getragen. Damit können sich vermutlich schon nächstes Jahr auch kleine und mittelständische Unternehmen ohne große Investitionen in solche Datenräume einklinken.
Und im März 2023 hat Gaia-X mit Gaia-X Digital Clearing House das erste eigene Produkt freigegeben. Es dient zur automatischen Prüfung der Compliance von Teilnehmern an Datenräumen mit Gaia-X.
Der Druck wächst unaufhörlich weiter, und wir müssen sehr schnell sein. Allein Deutschland investiert ungefähr eine Milliarde. Hinzu kommt, was die EU unternimmt, und schließlich die Beiträge der Industrie selbst.
Ulrich Sendler: Haben Sie zum Abschluss ein Beispiel, welche Art von Geschäft durch solche Datenräume möglich wird?
Ulrich Ahle: Als Fiware waren wir unter anderem im Anwendungsfall einer Smart Parking Lösung der Stadt Wolfsburg beteiligt. Normalerweise werden bei Smart Parking einzelne Parkbuchten mit Sensoren versehen, die unter der Parkfläche oder im Straßenbelag verbaut sind. Oder es werden Kameras installiert, um über Bilderkennung freie Plätze zu erkennen. Diese Information wird dann mit einer mobilen App auf dem Smartphone oder mit dem Navigationssystem eines mit entsprechender Funktionalität ausgestatteten Autos verbunden, und der freie Platz tritt an Stelle des eingegebenen Ziels.
Manche Fahrzeuge haben aber schon Systeme mit Radar und Laser-Sensoren. Da wird der Straßenrand gescannt und die Größe der Parklücke bestimmt, um dann automatisch einparken zu können. Solche Daten werden mit Zustimmung des Fahrers gesammelt und in Echtzeit den Kommunen zur Verfügung gestellt. Das funktioniert über den Datenraum Mobilität. Dafür gibt es bei Mercedes ein eigenes Geschäftsfeld, das mit diesen Daten arbeitet. So können Kommunen ihre Smart Parking Lösungen auch um Bereiche erweitern, in denen keine Sensorik verfügbar ist. Statt teurer Ausbauten des Parkraums und statt einzelner Verträge von Herstellern mit Kommunen werden die Daten in den gemeinsamen Datenraum Mobilität gestellt. Und über den Zugang zum Datenraum wird zugleich die Frage der Kosten für die Daten geregelt, die diesen Service ermöglichen. Solche neuartigen Daten-Geschäfte funktionieren nur über gemeinsam geteilte Datenräume.