Nach mehr als zwei Jahren fast geschlossener Grenzen war ich Anfang November zum ersten Mal wieder in China, diesmal für eine Keynote zu „Global Trends of Intelligent Manufacturing“ in Shanghai. Ich nutzte die Gelegenheit, um den gegenwärtigen großen Umbruch in der Industrie-Automatisierung in Richtung Microservice-basierter Composable Software zu adressieren. Eingebettet in meine Sicht auf die Geschichte der industriellen Revolution.
Die Grafik zur Spaltung der Industrienationen ab den Siebzigerjahren mit ihrer Konzentration auf Hard- oder Software hatte ich 2016 in Zusammenhang mit einem Buch über Industrie 4.0 entwickelt. Sie beschreibt die dabei entstandene Vorreiter-Rolle von Deutschland für Hardware und der USA für Software. Sie ist nach wie vor aktuell und gut geeignet, die wesentlichen Unterschiede zwischen den USA und dem deutschsprachigen Raum zu zeigen. Hier hochgradig automatisiert gefertigte Hardware, dort absolute Führung bei Software, Internet, Cloud und Data. Während daneben in den letzten Jahrzehnten China als dritter führender Player hinzugekommen ist. In Shanghai traf ich damit auf das schon aus den Jahren vor der Pandemie gewohnte Interesse. Bereits am nächsten Tag wurde von den Veranstaltern ein Bericht veröffentlicht, der meinen Vortrag erstaunlich detailliert wiedergab.
Auf der als „Global Digital Conference“ bezeichneten Veranstaltung war ich der einzige nichtchinesische Redner. Auch sonst hatte ich den Eindruck eines rein chinesischen Events. Mein Vortrag war der einzige auf Englisch gehaltene. Alle Folien der anderen Referenten verlangten nach der Kenntnis der chinesischen Schriftzeichen. Mein Eindruck: Das Interesse Chinas an der Entwicklung der Industrie-Automatisierung in Deutschland ist nach wie vor sehr groß, und die Verantwortlichen verstehen – im Unterschied vor allem zu den Politikern im Westen – ziemlich gut, was technologisch geschieht und wie es einzuschätzen ist. Aber die globalen Dissonanzen der letzten Jahre, insbesondere seit dem vom damaligen US-Präseidenten Donald Trump begonnenen Wirtschaftskrieg mit China und der folgenden Wendung der westlichen Regierungen gegen Peking, haben Spuren hinterlassen.
Meiner Meinung nach bleibt China mit seiner Industrie und seiner Hochtechnologie – trotz aller Nachteile ihres ins Extreme gesteigerten Einsatzes zur staatlichen Kontrolle – auf der Überholspur. Wie BASF-Chef Martin Brudermüller am 11.11. in der FAZ zitiert wurde, wobei es um Windparks von BASF in Europa mit Siemens und in China mit chinesischen Windrädern ging: „Die Chinesen sind technisch besser als wir, und sie sind auch kostengünstiger als wir.“ Europäische Initiativen, die dem Rechnung tragen, sind mir nicht bekannt.