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Man reibt sich die Augen: Auf der Automatisierungsmesse SPS, was viele Jahre für „Speicherprogrammierbare Steuerungen“ stand und heute „Smart Production Solutions“ abkürzt, sieht es fast aus wie früher. Und doch ist an vielen Ständen nichts mehr, wie es war. Zum Beispiel bei Bosch Rexroth. Einerseits gibt es wie bekannt die neuesten Antriebe, Sensoren, Aktuatoren und Steuerungen. Andererseits ist der Hersteller binnen weniger Jahre zum Anbieter von Microservice-basierter Automatisierungssoftware geworden. Der Name des neuen Angebots: ctrlX AUTOMATION.

Die hundertprozentige Bosch-Tochter Bosch Rexroth ist Anbieter von Automatisierungstechnik, insbesondere Antriebs- und Steuerungstechnik. Auf Messen wurden stets neueste Produkte aus diesem Bereich gezeigt. Steuerungen, Antriebe, zuletzt mit und ohne Schaltschrank. Hardware und Elektrik, um industrielle und Endanwender-Prozesse zu automatisieren. Von Software war selten die Rede. Wenn, dann ging es in den letzten Jahrzehnten meist um Beispiele für den vorbildhaften Einsatz von Standardsoftware der großen Anbieter etwa von CAD oder PLM.

Auf der SPS – Smart Production Solutions 2023 zeigte sich der Hersteller wie schon auf vorhergehenden Messen sehr selbstbewusst als etwas, das es so in der Industrie bis vor wenigen Jahren nicht gab: weiterhin als Hersteller von all den Hardwareelementen, die für eine moderne Automatisierung gebraucht werden, aber nun auch als Hersteller und Anbieter von Software, um diese wie auch die Hardware von Mitbewerbern softwaretechnisch zu vernetzen und zu steuern. Und sogar, um Software von Mitbewerbern ein Betriebssystem zu liefern.

Digitale Plattform – Composable Software

Das offene Betriebssystem ctrlX OS mit unterstützter Hard- und Software (Foto Sendler)

ctrlX AUTOMATION heißt die Plattform, die dafür 2019 vorgestellt wurde. Was man bisher schon aus der Produktwelt kannte, das Baukastenprinzip, wurde in die Welt der Industriesoftware übertragen. Die Plattform ist selbst ein Baukasten, der aus einer schnell gewachsenen und weiter wachsenden Zahl von Apps besteht. Und sie erlaubt es wie ein Baukasten in der Hardware, an nahezu beliebigen Stellen nahezu beliebige Funktionen als App hinzuzufügen. Nicht als mühsam und aufwendig zu integrierendes Unterprogramm eines großen Softwaresystems, sondern gleichberechtigt und weitgehend autark. Die ctrlX AUTOMATION Plattform ist eine Composable Software Architektur. Sie ist offen, basiert selbst auf offenen Standards wie Linux und Kubernetes, sie besteht aus Container-Apps, also Microservices, und spricht wie alle Internet-Lösungen mit dem Rest der Welt über REST API. Es lohnt sich, die wichtigsten Elemente des Baukastens etwas genauer zu betrachten.
Der Kern ist die Steuerungsplattform ctrlX CORE, auf der alle Steuerungen aufsetzen. Die Lauffähigkeit des Kerns und aller darauf aufbauenden Apps besorgt das Betriebssystem ctrlX OS, das seit Anfang dieses Jahres ebenfalls offen ist. Das heißt, dass jedes Unternehmen dieses Betriebssystem auch für eigene Apps und eigene Hardware einsetzen kann. Auch Mitbewerber, die auf diese Weise zu Partnern und Mitspielern werden. Kurz vor der SPS wurde bekannt, dass neben dem ersten Partner WAGO drei weitere Unternehmen offiziell das Betriebssystem für ihre Produkte einsetzen: Dell Technologies, KUKA und Nokia.

Die wachsende Rolle des Ökosystems

Die Welt der Partner geht allerdings erheblich darüber hinaus. Bosch Rexroth hat sie mit der ctrlX World bewusst ins Leben gerufen. Beim ersten Smartphone 2007 gab es schnell einen App Store, über den Apple seinen Kunden zusicherte, alle auf den eigenen Geräten laufenden Apps auf Qualität und Sicherheit zu prüfen. Jetzt gibt es einen ctrlX Store, über den Bosch Rexroth dasselbe für alle Apps bietet, die auf der Automatisierungsplattform laufen. Auf welcher Hardware auch immer.

Mittlerweile wurden fast 20 Lösungskategorien definiert. Mehr als 150 Use Cases sind dazu schon beschrieben, für die rund 90 Partnerunternehmen Apps bereitstellen. Robotik, Human Machine Interface, KI, Simulation, Monitoring oder Energie-Optimierung sind typische Anwendungsbereiche, in denen heute schon mehr als 60 Apps für Kunden zur Auswahl stehen. Was dabei entsteht, ist ein modernes Ökosystem, in dem Anwender und Anbieter datenbasiert miteinander Geschäfte machen. Die Offenheit, die große Zahl der Beteiligten und die Vielseitigkeit sind nun – natürlich neben der Funktionalität und Qualität von Produkten und Services – die neuen Kriterien für gute Geschäfte in der Automatisierung. Das Ökosystem löst die alten Geschäftsbeziehungen ab, in denen das einzelne Produkt und der konkrete Auftrag einzige Grundlage des Verhältnisses zwischen Hersteller und Kunde waren.

 ctrlX OS Partner und ctrlX World (Bild Bosch Rexroth)

Auf der diesjährigen SPS in Nürnberg gab es bei Bosch Rexroth also ein doppeltes Angebot. Einerseits neue Bausteine, Partner und Apps in der Softwarewelt von ctrlX AUTOMATION. Und andererseits – wie früher – zahlreiche neue Geräte, Antriebe und Steuerungen für die Automatisierung. Allerdings nun auch softwaretechnisch über die Plattform zu steuern.

Steffen Winkler zeigt das Neue rund um ctrlX AUTOMATION auf der Messe-PK (Foto Sendler)

Hardware und Software aus einem Haus

Einige Highlights:

  • Das lineare Motion-System ctrlX FLOW HS für Highspeed, Präzision und Kompaktheit bei Transport und Positionierung
  • Lineare Einzelachsen und Aktuatoren, bei denen der Anwender hinsichtlich der Antriebsregler zwischen IndraDrive oder ctrlX DRIVE wählen kann
  • Robotics Automatisierungsbaukasten Rokit mit Komponenten für einfache und schnelle Entwicklung und Inbetriebnahme fahrerloser Transportsysteme, modular und basierend auf ctrlX Core
  • Digitale Zwillinge für die Industriehydraulik in Form eines umfangreichen Katalogs an konfigurierbaren 3D-Modellen, basierend auf dem branchenneutralen Industrie 4.0 Standard der Verwaltungsschale, mit nativen CAD-Daten und Integration aus dem PLM führender Hersteller
Was wir hier gerade erleben, ist das, was wir seit vielen Jahren gefordert und mit Spannung erwartet haben: die digitale Transformation der Industrie. Ein Industrieunternehmen, das die Digitalisierung seiner Produkte und Prozesse selbst in die Hand nimmt und dabei die bisherige Abgeschlossenheit der Automation durch eine für die Industrie ungewohnte Offenheit ersetzt.

Steffen Winkler, Vertriebsleitung Business Unit Automation & Electrification Solutions, Bosch Rexroth AG, ist einer der treibenden Köpfe hinter ctrlX Automation. In einer Pressemitteilung zur SPS erklärte er:

„Seit 2020 ist unser Linux-basiertes Betriebssystem auf der Rexroth-Steuerung ctrlX CORE im Einsatz. Es hat sich in der Praxis bewährt und steht nun allen Unternehmen zur Nutzung offen. Wir sind überzeugt, dass derartige Betriebssysteme die Zukunft der Automatisierung sind: weg von proprietären Systemen, hin zu offenen, modularen und skalierbaren Microservices-Architekturen. Mit ihnen lässt sich der tiefgreifende Wandel in der Industrie, insbesondere im Hinblick auf Digitalisierung, Vernetzung und Nachhaltigkeit, realisieren.“

Steffen Winkler, Vertriebsleitung Business Unit Automation & Electrification Solutions, Bosch Rexroth AG (Foto Sendler)