Das Jubiläums-Symposium des prostep ivip Vereins folgte einem Programm, das es in sich hatte. Das Wichtigste war vermutlich für viele wie immer der persönliche Austausch unter den Teilnehmern. Neben begleitender Ausstellung und einer fast zu großen Zahl von Vorträgen gab es auch einige Neuerungen im Format, deren Potenzial zu heben sich lohnt.
Zum 30-jährigen Jubiläum des Vereins war das Symposium am 3. und 4. Mai fast wieder so gut besucht wie vor Corona. 650 registrierte Teilnehmer, 41 Anbieter in der begleitenden Ausstellung, rund 50 Präsentationen, Workshops und Keynotes – und es gab wieder jede Menge persönliche Gespräche zwischen Experten aus Industrie, IT-Branche und Forschung.
Das Motto machte bereits deutlich, dass es fast eine Quadratur des Kreises bedeutet, die aktuellen Herausforderungen auf den Punkt zu bringen. „Pioneering Industrial Digital Transformation for Sustainable Systems“ sollte heißen: Digitalisierung und Systems Engineering müssen nicht nur mit aller Konsequenz vorangetrieben werden, sondern auch auf eine Weise, die auf Seiten der Industrie umfassende Lösungen für Nachhaltigkeit einschließt.
Das Plenum bei der Eröffnung (Foto Sendler)
Dabei sind die langjährigen Versäumnisse auf dem Weg zur E-Mobilität schmerzhaft spürbar, aber nur ein Aspekt von vielen.
Das Symposium ist nach wie vor der Pandemie die wichtigste Veranstaltung, auf der sich Experten für die Digitalisierung der Industrie-Prozesse mit langjähriger Erfahrung im Einsatz und der Entwicklung von Software treffen und austauschen. Ausgehend von den großen Konzernen der Automobilindustrie und des Flugzeugbaus umfasst die Community längst zahlreiche Unternehmen nicht nur von deren Zulieferindustrien, sondern auch des Maschinenbaus und anderer Branchen der Fertigungs- und Prozessindustrie.
Heiße Debatten über KI in der Industrie
Das Augenmerk gilt schon lange nicht mehr bloß dem Einsatz von Engineering Software bis hin zu umfangreichen PLM-Strategien, sondern auch zahlreichen anderen Themen, mit denen die Industrie in wachsendem Umfang konfrontiert wird. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die KI, die in den letzten Monaten über ChatGPT von OpenAI nicht nur ins Privatleben der Menschen vorgedrungen ist, sondern eben auch in eher konservativ funktionierende Bereiche wie die Industrie.
Ein neues Format eignete sich besonders gut, um die Brisanz dieser Entwicklung zu spüren: die Expert Corners, von denen im ersten Anlauf drei geboten wurden.
Abseits der drei Hauptsäle der Veranstaltung im ECS an der Messe Stuttgart fanden sich da am Nachmittag des ersten Tages in einem kleineren Raum mehr Interessierte als die knapp 80 verfügbaren Stühle Platz boten. Viele Teilnehmer standen während der Diskussion über „AI for Intelligent Engineering“ ringsum an den Wänden, und die meisten blieben fast eine Stunde statt der geplanten 35 Minuten. Mit Impulsstatements (rechts im Bild): Prof. Rainer Stark, Mitglied des Vereinsvorstands und Professor an der TU Berlin, Prof. Lydia Kaiser, ebenfalls TU Berlin, und Marcus Goerke, Industrie-KI-Entrepreneur und Gründer des Startups NextMO.
Aus kleineren Gruppendebatten kommen die besten Ideen (Foto Sendler)
Sie blieben nicht unter sich mit ihren Thesen zum möglichen Industrieeinsatz der KI. Etliche Teilnehmer kamen aus dem Saal nach vorn und griffen zum Mikrophon. Einige konnten bereits auf eigene Erfahrungen mit dem KI-Einsatz verweisen. Allen gemeinsam war der große Wunsch, den neuen Möglichkeiten der jüngsten KI-Entwicklungen nicht mit Ablehnung zu begegnen, sondern sie zu erforschen und zu nutzen, wo dies erfolgversprechend ist. Das Ergebnis dieser Expert Corner: Rainer Stark rief bei der Abendveranstaltung die Mitglieder des Vereins zur Bereitstellung von Industriedaten für KI-Forschung auf, während der Verein die Sicherheit und den Schutz der Daten garantieren müsse.
Ein gutes Beispiel, wie dieses neue Format mit Podium und kleinerem Publikum Leben in die Veranstaltung und den Verein bringen kann. Die beiden im Hauptsaal organisierten Expert Corners waren dagegen eher Beispiele für unidirektionale Bühnen-Talkshows. Kleinere Räume, brennende Themen, kurze Impulse, dann läuft die gemeinsame Erarbeitung wichtiger Initiativen wie von allein.
Neue Formate für neue Ideen
Über die vielen Vorträge wird der prostep Verein demnächst in seinem Produktdaten-Journal berichten. Die Vielzahl der gebotenen Referate macht eine Übersicht fast unmöglich. Eine Bemerkung sei allerdings erlaubt: Die im Symposium seit vielen Jahren wie auf anderen Großveranstaltungen geübte Praxis der Sponsoren-Keynotes, in diesem Jahr der Hauptsponsoren Volkswagen und Siemens Digital Industries Software, erscheint mehr und mehr als Auslaufmodell.
Wer erwartet hatte, von Thomas Kamla und Abdallah Shanti von VW etwas Konkretes über die viel diskutierten neuen Ansätze für die Rolle der Software im Fahrzeug und im Konzern zu erfahren, wurde enttäuscht. Und selbst das, was gesagt wurde, sollte sich schon ein paar Tage später als nebensächlich erweisen, als der VW-Vorstand ankündigte, sein CARIAD-Führungsteam zu ersetzen und dessen Ziele neu zu definieren.
Auch die Keynote von Joe Bohman von Siemens zu Beginn des Symposiums hinterließ selbst bei manchen Siemens-Mitarbeitern ein Fragezeichen, wie denn die Integration und Verschmelzung von IT und OT konkret in der Praxis aussehen soll.
Man sollte vielleicht – nicht nur beim prostep Symposium – die Praxis beenden, gegen ein kräftiges Sponsoring eine Keynote zu vergeben. Die oft daraus folgenden Reklame-Auftritte nützen weder den Teilnehmern noch dem Veranstalter, und ich glaube, nicht einmal den Sponsoren selbst.
Die neuen Ideen stecken wie in den Anfängen des Vereins in den Köpfen der Mitglieder. Das zeigte auch ein weiteres neues Format. Am Ende des ersten Tages stellten sich vier Startups für einen Elevator Pitch. Sie hatten genau 3 Minuten Zeit, ihre Firma und deren Angebot im Auditorium zu präsentieren. Alle vier schafften es, in dieser kurzen Zeit das Wichtige zu sagen. Die Spread GmbH aus Berlin bekam dann digital vom Publikum den Zuschlag und vom Verein den Startup Award.
Das prostep ivip Symposium bleibt der wichtigste Event für alle, die mit Industriesoftware zu tun haben. Und auch nach 30 Jahren hat der Verein offensichtlich gute Ideen für neue Ansätze. Die Industrie braucht sie dringend.
Dr. Christian Wienss, Head of Sales, Spread GmbH, nimmt den Startup Award entgegen. (Foto Sendler)